Das deulsche Reich und seine einjeluen Glieder. (Mai 283 —24.) 95
man für unmöglich halten, wenn sie sich nicht unter den Augen der Ollu-
pationsarmee zugetragen hätten, die Gewehr bei Fuß hezwungen gewesen,
von jedem Eingreifen Abstand zu nehmen. Solche Dinge seien eine ver-
ständliche Mahnung für die Ordnungspartei. Der Reichstag könne das Geseh
heute ablehnen, in der Erwartung, daß die Regierung stark genug sei, Musn
schreitungen mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten. Dadurch werde
er nur angenblicklich geholfen und die Schäden nicht gründlich geheilt.
Wenn mit der Vorlage der Weg gezeigt werde, durch vorbengende Maß-
regeln, durch verständige Beschränkung der gemißbrauchten Freiheit beklagens-
werthen Uebeln abzuhelfen, so müsse der Neichslag dazu die Hand bieten.
Der leidende Theil der Bevölkerung gewinne nicht durch gewallsamen Um-
sturz, sondern auf dem langsamen Wege der Gesebgebung den erforderlichen
Schutz. Laster (nat.-lib.) tritt der Vehauptung entgegen, daß die liberale
Partei das Anwachsen der Sozial-Demokratie gefördert habe. Mit großerem
Rechte treffe ein solcher Vorwurf die conservative Partei, die durch ihre In-
triguen und Machinationen zur Untergrabung der öffentlichen Sittlichkeit
beigetragen habe. Auch die Regierungen hätten die Sozialisten gegenüber
den Liberalen begünstigt, wie dieß namentlich bei den letzten Wahlen in
Sachsen geschehen sei. Die Bestimmungen des Enkwurfs seien in vielen
Stücken ganz nnausführbar, auch nicht verbesserunge fähig; der bezügliche
Versuch Gneist's sei ein mißglückter. Er und seine Partei würden ab irato
gemachten Gesepen niemals zustimmen. Der sächsische Minister v. Nostiz-
Wallwit erklärt die Behauptung Lasker's, betreffend die Begünstigung der
Sosialisten durch die Regierung bei den lebten. Wahlen, für unwahr. Damit
schliest die erste Lejung, und es wird sofort in die zweite eingetreten. Lu-
cins (conserv.) erklärt sich für unveränderte Annahme des § 1, Beseler
für das von ihm und Gneist eingebrachte Amendement. Auch Minister
Hofmann empsiehlt dieses Amendement und verwahrt die „Vorlage gegen
den Vorwurf, daß dieselbe abjolnt nicht verbesserungsjähig sei. Das Amen-
dement Gneist= 3“ wird jedoch in nameullicher Abstimmung mit 243
gegen 60, § 1 der Vorlage mit 251 gegen 57 Slimmen abgelehnt. Minister
Hofmann atlirt, die Regierung lege auf die Weiterberathung keinen Werth,
woraufd die Eibing geschlossen wird.
Die so nach drei und einhalbmonallicher Dauer geschlossene Neichs-
tagssession hinterläßt so ziemlich bei allen Parkeien das Gejühl einer tiesen
Mißstimmung. Der Rübklick auf dieselbe ist. ein so wenig erfreulicher, daß
als der hellste Lichtpunkt allgemein — die Novelle zur Gewerbe-Orduung
bezeichnet wird, ein Gesetz, welches allerdings in sozial-politischer Beziehung
von nicht zu mnterschähendem Werth ist, indem es die Verhällnisse der Lehr-
linge und Arbeiter einer besseren Regelung als bisher unterwirft, welches
er doch bei weitem nicht die wichtigste unter den großen Aufgaben der
Winthsckafte breform der Lösung entgegenführt. Das Scheitern des Entwurfs
über die Gewerbegerichte wird wenig bedauert, da die Frage der Belheili=
gung des Staates an jenen Gerichten noch nicht genügend geklärt ist. Die
Rechtsanwaltsordnung und das Gerichtskostengeseb, welche zwar nicht allen
Wünschen entsprechen, im Ganzen jedoch von der Volksvertreiung wie von
den Regierungen als zweckentsprechende Leistungen der Gesehgebung auerkannt
sind, werden als nothwendige Consequenzen der neuen Gerichtsverfassung mit
Befriedigung aufgenommen. Die Bereicherung der Steuergesehgebung durch
den Spielkartenstempel hat geringe Bedentung. Nachdrücklichere Betonung
erfährt von verschiedenen Seiten die Nichterledigung einer größeren Anzahl
nicht unwichtiger Vorlagen: der Gesehzentwürfe über die Fälschung von Nah-
rungsmitteln und Gebrauchsgegenständen, über die Statistik des Waarenver-
kehrs mit dem Ausland, über den Feingehalt der Edelmetallwaaren, über die