132 Das dentscht Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 4.)
enlfernt hatte und nur noch eine kleine Gruppe zurückblieb, um den sogen.
„Bierconvent“ im Salon des Reichskanzlers zu bilden, da wurde der Bann
des Schweigens gebrochen. Ueber die hier gepflogene Conversation verlauten
nun allerlei interessante Einzelheiten. An dem Tisch, an welchem außer dem
Reichskanzler noch der Präsident des Reichstags, Graf Arnim, der Herzog
von Ratibor, die Abgg. Dr. Völk, Marquardsen, Bernards und andere Platz
genommen hatten, entspann sich ein halb scherzhaftes Gespräch über die Be-
endigung des Culturkampfes, das hauptsächlich zwischen dem Fürsten Bis-
marck und dem dem Centrum angehörenden Abg. Bernards geführt wurde.
Der Reichskanzler betonte seiuen guten Willen, zum Frieden zu kommen,
aber zuerst müßten von der anderen Seite Thatsachen vorliegen. Es müsse
aufhören, daß man am Mittwoch etwas zusage, und am Donnerstag zurück-
nehme. Daß man ihn nicht leicht übervortheilen werde, das könne man
wissen. Er pflege mindestens ebenso früh aufzustehen wie andere Leute;
manchmal lege er sich gar nicht schlafen. Der Kampf mit der Kirche und
den Welfen sei nicht von heute; er datire über achthundert Jahre zurück.
Auch der Abg. Windthorst sei der auptsache nach Welfe, nur der Ueberzug
sei ultramontan. Wenn man auf der Jenseite mit Thatfachen zurückbleibe,
so müsse eben Alles bleiben wie es ist. Vielleicht würde er sich auf alle
Fälle doch einige Vollmachten von dem preußischen Landtag erbitten. Abg.
Dr. Völk warf scherzhaft ein, daß er an Stelle des preußischen Land-
tags dem Fürsten Bismarck persönlich discretionäre Vollmacht geben würde,
aber nur auf seinen Namen, nicht der „Regierung", denn dann wisse man
nicht, wo sie hinkomme. Fürst Bismarck erklärte, auch die Regierung werde
sich zu wahren wissen. Ja, warum ist denn der Herr Falk gegangen? warf
Dr. Völk ein. Wir haben es eben mit einer anderen Nummer versucht,
antwortete der Reichskanzler, aber verlassen Sie sich darauf, es wird der-
selbe Faden gesponnen. Bismarck äußerte noch nach anderen Versionen:
Um dem Papst Leo meine Versöhnlichkeit zu zeigen, habe ich einen Cultus-
minister genommen, der dem Papst eine Nummer näher steht als Falk. Herr
v. Puttkamer ist den Katholiken sehr weit, in einzelnen Fällen vielleicht zu
weit entgegengekommen; vielleicht können wir dazu kommen, zu dem früheren
Rüstzeug zurückkehren zu müssen. Als Fürst Bismarck bei der dem Land-
tage zu machenden Vorlage betreffs der an die Regierung zur Ausübung
der Maigesetze zu übertragenden discretionären Gewalt zu sprechen kam,
äußerte er: „Ich hoffe, die Sache wird marschiren, wenn mir der Landtag
keine unnöthigen „Quengeleien“ macht und mir freie Hand läßt, und fügte,
wie die „Post“ meldet, zum Abg. Bernards (Centrum) gewendet, bei: „Wir
wollen den Frieden mit der Kirche, wir wollen die Möglichkeit, die Gesehe,
welche den Schutz des Staates gegen Uebergriffe der Kirche bewirken, milde
anwenden oder ganz ruhen lassen zu können. Wir wollen die Waffen auf
dem Fechtboden darniederlegen, aber weggeben wollen wir sie nicht. Wir
glauben, daß wir jetzt Frieden erhalten werden, aber die Zeit kann schnell
wieder da sein, wo wir die Wafssen brauchen.“ Die „Post“ bemerkt, daß
diese Stelle „wörtlich citirt“ sei. Ob sie ganz wörtlich wiedergegeben, muß
dahingestellt bleiben. Auch nach andern Blättern hat sich aber der Kanzler
in der angedeuteten Weise ausgesprochen: Er werde nun nicht mehr ab-
warten, ob und bis Rom den ersten „practischen“ Schritt mit der Anerken-
nung der „Anzeigepflicht“ thun werde, sondern selbstständig in der Gesetz-
gebung vorgehen, und zwar werde er noch in der demnächstigen Nachsession
dem Landtag einen Gesetzentwurf vorlegen, welcher ihn zu einer milden, den
„Culturkampf“ gänzlich vermissen lassenden Ausführung der Maigesetze er-
mächtige. Gegen die Zurückberufung der im Auslande weilenden Bischöfe
würde er nichts einzuwenden haben. Diese würden dann ihrerseits durch