Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Das deuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 5.) 135 
5. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt die An- 
träge der Gewerbecommission betr. Einschränkung des Hausierbetriebs 
und betr. Abänderung der Gewerbeordnung bezüglich des Innungs- 
wesens nach längerer Debatte, in welcher Delbrück die Anträge einer 
sehr einläßlichen Kritik unterwirft, mit einer einzigen Abänderung 
mit 152 gegen 102 Stimmen. 
Der Antrag bezüglich des Innungswesens lantet vollständig: „Der 
Reichstag wolle beschließen: den Hrn. Reichskanzler auszufordern, in eine 
Revision des Titels VI der Gewerbeordnung zum Zweck einer weileren Ent- 
wicklung der den Innungen zustehenden gewerberechtlichen Befugnisse einzu- 
treten und dabei insbesondere von folgenden Gesichtspuncten auszugehen: 
1) Diejenigen, welche gleiche oder verwandte Gewerbe selbständig betreiben, 
können au einer Innung zufammentreten: ein Zwang zum Eintritt in die 
Innung findet nicht statt. 2) Der Zweck der Innung besteht in der För- 
derung der gemeinsamen gewerblichen Interessen, insbesondere soll durch ge- 
eignete Einrichtungen der Gemeingeist unter den Innungsmitgliedern gewahrt 
und das Bewußtsein der Standesehre, der Rechte und Pflichten selbständiger 
Meister gegenüber den Lehrlingen und Gesellen, den Mitmeistern und dem pu- 
blikum lebendig erhalten werden. 3) Vom Eintritt in die Junung sind d 
jenigen ausgeschlossen, welche sich nicht im Besihe der bürgerlichen Ehrenrech 
benden oder welche in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung g 
ihr Vermögen beschränkt sind. Innungemitglieder, welche sich in einem 
dieser Verhältnisse befinden, verlieren für die Dauer desselben die Ausübung 
des Stimmrechts und der Ehrenrechte innerhalb der Innung; sie können 
durch Innungsbeschluß aus der Innung ausgeschlossen werden. 4) Die 
Theilnahme an der Innung kann von statutarisch festzustellenden Voraus- 
setzungen abhängig gemacht, es kann insbesondere die Zurücklegung einer be- 
stimmten Lehrlings= und Gesellenzeit, sowie die Ablegung von Gesellen= und 
Meisterprüfungen. und die Zahlung eines Eintrittsgeldes gefordert werden. 
Wo Meislerprüfungen gefordert werden, dürfen sich dieselben nur auf den 
Nachweis der Befähigung zur selbständigen Ausführung der gewöhnlichen 
Arbeiten des Gewerbes beziehen. Die selbständigen Mitglieder der Innung 
sind berechtigt, den Namen Meister zu führen. 5) Nach Maßgabe des Sta- 
tuks kann sich die Thätigkeit der Innung erstrecken auf: a) die Leitung und 
Aufsicht über ihre Fachschulen, b) die Abnahme von Gesellen= und Meister- 
prüfungen und Ausstellung der dießfälligen Zeugnisse, c) die Aussicht über 
die Lehrlinge der Innungsmeister, insbesondere die Entscheidung über die 
Aufhebung oder Dauer des Lehrverhältnisses, d) die Anssicht über die Ge- 
sellen der Innungsmeister, insbesondere über die von den Gesellen zu füh- 
renden Legiktimationen, e) die Verwaltung der Kranken-, Hilfs-, Spar= und 
Iwwaliden-Kassen der Innung, () die Fürsorge für die invaliden Gesesten, 
sowie für die Wittwen und Waisen r Innungsmitglieder, 8) die Ver- 
mittelung zwischen Jigute bei gewerblichen Streitigkeiten. Durch 
die höhere Verwaltungsbehörde kann nach Anhörung der Gemeindebehörde 
Innungen die Aufsicht über das gesammte Lehrlings= und Gesellenwesen 
ihres Gewerbes übertragen werden. 6) Die execntivische Beitreibung der 
Innungsbeiträge und der von den Innungsgenossen wegen Verlehung soatu 
tarischer Vorschriften verwirkten Geldstrafen im Verwaltungswege kann durch 
Verordnung der Landesbehörden festgestellt werden. 7) Durch die höhere 
Verwaltungsbehörde kann nach Anhörung der Gemeindebehörde angeordnet 
werden, daß für diejenigen Gewerbe, für welche Innungen gernahen Nr. 4 
und 5 bestehen, nur Mitglieder der Innung Lehrlinge zur Ausbildung an- 
  
  
  
  
  
  
 
	        
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