Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 6.) 137
erstatten, ohne die verfasfungarechtlich e Frage zur Entscheidung zu stellen.
Zu dieser Entschliebung hat, wie r glaube, insbesondere die Erwägung
Anlaß gegeben, daß Enescheidungen über zweifelhafte Auslegungen der Reichs-
verfassung Schwierigkeiten und Bedenken darbieten; die preußische und die
hamburgische Auslegung des Art. 34 der Verfasfung stehen sich entgegen
und schließen einander aus. Entscheidet sich die Mehrheit der Stimmen im
Bundesrathe für die preußische Anslegung, so wird Hamburg die Verfassung
zu seinem Nachtheil für weriet halten; gewinnt dagegen die hamburgische
Meinung die Mehrheit, so wird Preußen die Ueberzeugung haben, daß diese
Entscheidung gegen die Verfassung und gegen die derselben zu Grunde lie-
enden Verträge laufe. Da diese Schwierigkeiten sich bei jedem Streit über
Hnterprelalinne der Verfassung wiederholen, so bin ich seit Einrichtung des
Bundesrathes mit Erfolg bemüht — zu verhüten, daß Fragen der Art
zur Entscheidung gestellt werden, und ich werde auch im vorliegenden Fall
in demselben Sinne jede Gefährdung der Eintracht unter den Bundesregie-
rungen abzuwenden suchen. Als Vertreter Preußens habe ich die Pflicht,
die Rechte Preußens im Bunde zu wahren und für die Interessen barsenign
preußischen Unterthanen einzutreten, welche durch die gegenwärtige Gestaltung
des hamburgischen Freihafenbezirks geschädigt und im Genuß der ihnen auf
Grund der nationalen Einigung Deutschlands und des Art. 33 der Ver-
fassung zustehenden Rechte beeinträchtigt werden. Als Reichskanzler aber
liegt mir die Pflicht ob, die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesrathes
wahrzunehmen und die Gesammtheit der verbündeten Regierungen in der
Ausübung derselben zu vertreten, sowohl gegen die Wirkung particularisli-
scher Bestrebungen und Sympathien der Einzelstaaten als gegen die centra-
listische Neigung, verfassungsmäßige Rechte des Bundesraths zu Gunsten des
Reichstags zu verkürzen. Im Namen Preußens verlangt die kgl. Regierung
die Ausscheidung Altona's und der sonstigen preußischen Gebiectstheile aus
dem Freihafenbezirk und ist zu diesem Ver Tangen berechtigt, weil die Zuge-
hörigkeit dieser Gebiete zur Erfüllung der Zwecke des der Hansestadt Hamburg
gewährleisteten Freihofen, nicht —“ ist. Ueber die Berechtigung dieses
Anspruchs Sr. Moajestät des Königs, meines allergnädigsten Herrn, ist biher
im Bundesrath eine Meinungsverschiedenheit nicht ausgesprochen, im Gegen-
theil die allseitige Uebereinstimmung kundgegeben worden. Wenn nun durch
das Ausscheiden der preußischen Gebietstheile u dem Freihafenbezirk die
unabweisliche Nothwendigkeit einer neuen Begrenzung des lehteren eintritt,
so wird der Bundesrath sich der Pflicht nicht entziehen können, nach Art.7
Abs. 2 der Reichsverfassung, welcher in diese aus den Traditionen des Zoll-
vereins entnommen ist, Beschluß zu fassen. Der vrenßische Antrag spricht
vom technischen Standpunct die Meinung aus, daß die künftige Zollgrenze
auf dem Heiligengeistfelde zwischen Hamburg und *s Pauli zweckmäßiger
liegen würde, als auf der preußischen Landesgrenze. Wenn die preußische
Verwalkung bei Gelegenheit ihres prineipalen Antrags auf Ausfs hbo des
preußischen Gebiets aus dem Freihafenbezirk dieser bolltechnif en Ansicht
Ausdruck gegeben hat, so ist sie dabei von preußischen Interessen nicht ge-
leitet worden; die lehteren machen im Gegentheil im Sonderinteresse der
Stadt Altona das Verbleiben St. Pauli's außerhalb des Zollvereins wün-
schenswerth. Nur das Pflichtgefühl, mit welchem die Regierung meines
allergnädigsten gen die -eschsedlinkerr sen ch hat sie veranlaßt,
mehr im Interesse der Stadt Hamburg und Vorstadt St. Pauli als in dem
der Stadt Altona jene Zolllinie über das eri eistfeld dem Bundesrath
vorzuschlagen, welcher über dasselbe zu beschließen Haben wird. Es ist nicht
schwierig, einen solchen Beschluß zu treffen, Vahue bdie Frage über die Inter-
pretation der Verfassung bis zum Conflict zu schärfen. Diejenigen Re-