Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

190 Pos deulsche Neich und seine einzelnen Glieder. (Juni 18—24.) 
war nur bei den beiden abgelehnten Artikeln gegenüber Centrum, Fort- 
schrittspartei und den übrigen Nationalliberalen zur Mehrheit nicht groß 
genug. Möglicher Weise aber wird es Bennigsen gelingen, bis zur dritten 
Berathung noch eiwa ein Duhend Fraktionsgenossen mehr zu sich hinüber- 
zuziehen. Alsdann gewinnen auch Artikel 1 und 8 eine Mehrheit. Artikel 1 
gestattet bei der Anstellung von Geistlichen Dispensationen von Gwmasial, 
und Universitätsbildung und wissenschaftlicher Prüfung. Art. 8 gestattet 
dem Staatsministerium die Wiederaufnahme eingestellter Solegestaue 
für den Umfang eines Sprengels. In dem bis hierhin bezeichueten Umfang 
ist Bemigsen entschlossen, die Kirchenvorlage anzunehmen. Nur der Bischofs- 
artikel treunt Bennigsen noch von der Zustimmung zur Kirchenvorlage. Es 
fragt sich nur, ob nach Ablehnung des Bischofsarkikels noch 46 andere Na- 
tionalliberale entschlossen sind, die Vorlage in der beschriebenen Gestalt an- 
zunehmen. Schon, daß Bennigsen bei Artikel 1 und 8 aus seiner Fraktion 
nicht die zur Mehrheit erforderliche Unterstützung finden konnte, ist bezeichnend. 
Viele Nalionalliberale haben aber mit Bennigsen für einzelne Artikel ge- 
stimmt, ohne deshalb für die Vorlage im Ganzen stimmen zu wollen. Bei 
der Gesammtabstimmung glauben diese Nationalliberalen mit Nein slimmen 
zu müssen. Tiedemann unterhandelt nnumehr im Interesse des Reichskanzlers 
eifrig und ostensibel mit Bennigsen, und Bennigsen wieder mit Ranchhaupt. 
Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß der Abschluß eines Compromisses 
zwischen Bennigsen und den Conservativen unter Aufgeben des Artikels 4 
nahe bevorstehend ist. Die Schwierigkeit besleht alsdann freilich immer noch 
darin, daß Bennigsen die erforderliche Angahl Nationalliberaler zu sich 
hinüberzieht. Das Verhältniß zwischen dem Centrum einerseits, und Con- 
servativen und Regierung andererseits ist inzwischen ein fast gereiztes zu 
nennen. Die in der Sitzung vom 18. ds. vom Minister v. Puttkamer offen 
ausgesprochene ofnn des „Verduftens“ der Centrumspartei ist für die 
Lage sehr bezeichnend. Soviel steht jetzt fest, daß die Regierung die Vorlage 
in jeder Gestalt annehmen wird, und zvweitens steht auch fest, daß der viel- 
besprochene Bischofsartikel 4 in keinerlei Gestalt zur Annahme gelangt. 
Zuerst wird der Artikel 4 durch das freiconservative Amendement — der 
Bischof muß Sicherheit bieten, der Anzeigepflicht zu genügen — für das 
Centrum unannehmbar gemacht und dann vom Centrum und den Liberalen 
verworfen werden. Wenn aber auch demgemäß Art. 4 fortgefallen sein wird 
und Art. 9 eine für die Nationalliberalen aunehmbare Gestalt erhalten hat, 
so ist es darum doch noch nicht gesagt, daß alsdann ein so amendirtes Geseh, 
abgesehen von den 170 Conservativen und Freiconservativen, auch die zur 
Mehrheit erforderliche Zustimmung von noch 47 Nationalliberalen — der 
älfte der Fraciion — erhalten wird. Die Volksströmung in den evan- 
gelischen Wahltreifen ist zu stark, als daß die Nalionalliberalen auch nur 
in der erwähnten Jabl die Verantwortung für das Gesetz übernehmen könnten. 
Es trifft sich so, daß dießmal gerade der äußerste rechte Flügel der national- 
liberalen Partei, welcher sonst zur Nachgiebigkeit am meisten geneigt ist, im 
Culturkampf den Wahlkreisen gegenüber am Stärksten engagirt ist. 
lus der Debatte können an dieser Stelle nur die für die Stellung 
der Parteien besonders characteristischen Aeußerungen, sowie die Vorgänge 
bei der Abstimmung über die einzelnen Artikel angeführt werden. Gneist 
(nat.-lib. rechts): Er spreche nicht im Namen seiner Partei, welche ernste 
Bedenken hege, rv. und wie weit sie der Negierung ! entgegenkommen könne, 
ohne die Würde des Staates zu verletzen. Der Kampf sei aastanden durch 
den Widerstand der gge gegen die Ten, Ver Aamol l Wenn der Staat 
jeht sich allzu entgegenkommend zeige, so erkenne er an, der schuldige Theil 
Poesen sein. Andererseits könne derselee, obgleich in feinen guten Recht, 
  
 
	        
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