Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Das drulsche Nrich und srine einzelnen Glieder. (Juli 3.) 201 
Bestimmungen sind gefallen, der Rest ist weniger ein politisches als ein 
nüpzliches Verwaltungsgejep. Es lag für die Regierung die Versuchung nahe, 
nach diesen Ergebnissen der Verhandlungen im Abgeordnetenhause auf die 
weitere Berathung ganz zu verzichten und die Angelegenheit der Zukunft zu 
überlassen. Denn die noch übrige Vorlage ist nur ein Minimum und ent- 
spricht nicht den Hoffnungen der Staatsregierung; aber dieselbe glaubt, die 
Pflicht zu haben, auch das kleinste Hilfsmittel, welches zum Frieden führen 
könnte, nicht zurückweisen zu dürfen. Sie nimmt deßhalb die werthvollen 
Andera an, die das Abgeordnetenhaus noch übrig gelassen hat, worunter 
sich auch die Artikel 5 und 6 (früher Artikel 9 und 10) befinden. Es wird 
schwierigl sein, auf dieser Basis kirchenpolitische Schritte zu thun, namentlich. 
da das Hauptmittel, die Wiedereinsehzung der Bischöfe, fehlt. Die Regierung 
wird es aber auch mit dieser Wöschngsahlung versuchen, und ich verspreche 
Namens der Regierung, daß die Vorlage in logaler, den Interessen des 
Staates entsprechender Weise angewendet werdeni 
Am Abend findet die Schlußsitzung beider Häuser des Land- 
tags statt. 
Damit schließt die erste Session des am 7. October v. Is. neu 
gewählten Landtags. Sie dauerte ungewöhnlich lange, nämlich, vom Reiche- 
tag unterbrochen, vom 28. October 1879 bis zum 3. Juli 1880. Ein Rück 
blick auf den Verlauf desselben ist aber weder für die „Regierung noch für 
irgend eine der verschiedenen Parteien sehr befriedigend. Die hauptsächlichsten 
Ergebnisse bilden: die Verstaatlichung des Eisenbahnwesens, die Weiterführung 
der Verwaltungsreform durch Annahme von Zweien der 4 von der Regierung 
vorgelegten Gesehentwürfe und das neue kirchenpolitische Gesetz, das freilich 
nur als Torso aus der Berathung hervorging. Die Bewegungen und Ver- 
schiebungen der Parteien während des Laufs der Session waren ebenfo be- 
deutsam als bezeichnend. Die Wahlen vom 7. October 1879 hatten die seit 
1873 liberale Mehrheit beseitigt. Diese hatte den conservativen Parteien 
und dem Centrum gegenüber eine empfindliche Niederlage erlitten, indem sie 
110 Sipe zu Gunsten der letzteren einbüßte, von welchen über 70 allein die 
national-liberale Fraction, hauptsächlich auf ihrem linken Flügel, verlor. 
Die Mehrheit im Abgeordnetenhause lag nunmehr bei der Vereinigung der 
Conservativen und Ultramontanen, dieser Vereinigung, welche im neuen 
Landtage alsbald durch die Berschmelzung der Alt= und Neuconservativen 
zu einer einheitlichen Fraction noch eine beträchtliche Stärkung erfuhr. Diese 
Conservativen mit den Freiconservativen hatten im Hause nahezu (bis auf 
47 Stimmen) die absolute Mehrheit, aber mit dem Centrum und den Polen 
(120) verbunden, hatten die Conservativen nun sogar ohne die Freicon- 
servativen eine entscheidende Mehrheit. Dies zeigte sich gleich bei der Prä- 
sidentemwahl, wo v. Köller gegen v. Bennigsen siegte. Aber von den Hoff- 
nungen, die Conservative und Centrum an diese Verschiebung der Mehrheit 
knüpfen mochten, ist im Verlaufe der Session nichts in Erfüllung gegangen. 
Die Allianz zwischen Conservativen und Ultramontanen gins schon bei der 
Frage der Verstaallichung der Eisenbahnen in die Brüche: sie ging gegen 
die Ultramontanen nur durch Vereinigung der Nationalliberalen mit den 
Conservativen durch. Dem Kanzler lag diese Verstaatlichung, schon als mäch- 
tiges Mittel zur Kräftigung der Staaksgewalt in Preußen als dem deutschen 
Vorderstaate, ganz besonders am Herzen. Aber gerade solche Kräftigung 
war dem Centrum und seinem Anhang, den Ulicemontanen, Welfen und 
Polen, grundsählich zuwider. Die Liberalen fürchteten in der Verstaatlichung 
wohl auch eine Gefahr, daß die Stoatsregierung dieselbe vielleicht zu be- 
nuben versuchen möchte, das Budgetrecht der Volksvertretung kraftlos zu 
  
  
  
 
	        
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