300 Tie Oesterreichisch-Ungarische Monarchie. (Mai 4.)
Berichte den Schutzzöllnern Hoffnung auf Verwirklichung der gewünschten
Erhöhung verschiedener Zölle, und zwar unter speciellem Hinweis darauf,
„daß dieselben im Mißperhältniß zu den neuen Zöllen des deutschen Zoll-
tarifs stehen.“ Das also sind die angeblich günstigen Folgen, welche die
deutschen Schutzzöllner von der Aufstellung des Tarifs bei eventuellen Han-
delsvertragsverhandlungen mit andern Ländern voraussagten. Auch in Oester-
reich hat man den Glauben an eine schließliche günstige Regelung der Hau-
delsbeziehungen zu Deutschland fast ausgegeben. So schreibt die der Re-
gierung nahe stehende „Presse“: „Der Vertreter der deutschen Reichsregierung,
Staatssecretär Hofmann, begzeichnete diese Uebereinkunft als die Grundlage
für eine weitere Verständigung zwischen den beiden Nachbarstaaten. Uns
scheint die Ansicht Delbrücks zutreffender zu sein, welcher präcis erklärte:
ein Tarifvertrag mit Oesterreich sei in Folge der beiderseitigen Tarife nicht
möglich, er stimme aber für die gegenwärtige Vorlage, weil dieselbe der
freundlichen Gesinnung Ausdruck gebe, welche auf politischem Gebiete zwischen
Deutschland und Oesterreich bestehe. Wir registriren die weitere Aeußerung
des Staatssecretärs Hofmann: daß eine Versltändigung in Betreff des Ver-
edelungsverkehrs und der zollfreien Rohleinen-Einfuhr nicht ausgeschlossen
sei. Inzwischen rüstet man bei uns eifrig zur gänzlichen Aufhebung des
Appretur-Verkehrs. Hätte Deutschland nicht den Conflict bezüglich des Roh-
leinen-Verkehrs vom Zaune gebrochen, die Bewegung für die Aufhebung des
Appretur-Berkehrs, welche jetzt der deutschen Industrie so unangenehm zu
werden beginnt, wäre nie zu solchen Erfolgen gelangt.“
Herrenhaus: genehmigt die Vorlage betr. die Erbauung der
Arlbergbahn in 2. und 3. Lesung ohne Debatte. Das Zustande-
kommen derselben ist damit jedem weiteren Zweifel entrückt.
4. Mai. Nachdem Hr. Gladslone in England Premiermini-
ster geworden, haben Auseinandersetungen über die von ihm in
seinen Wahlagitationsreden namentlich in Midlothian gebrauchten
Schmähungen gegen Oesterreich-Ungarn und seine orientalische Po-
litik, in denen er selbst den Kaiser schonungslos angegriffen, zwischen
dem österreichischen Botschafter Karolyi und dem neuen englischen
Minister des Auswärtigen mündlich und Hrn. Gladstone selbst
schriftlich stattgefunden, in Folge welcher Hr. Gladstone sich dazu
bequemen muß, seine Schmähungen in einem Schreiben an den
Grafen Karolyi förmlich zu widerrufen und denselben bevollmäch-
tigt, diesen Widerruf zu veröffentlichen.
Von einiger Tragweite ist folgende Stelle in dem Entschuldigungs-
schreiben Gladstone's an Karolyi: „In meinem Gemüth waren ernste Be-
sorgnisse rege geworden, Oesterreich dürfte auf der Balkanhalbinsel eine für
die Freiheit der emancipirten Bevölkerung sowie für die vernünftigen und
gerechtfertigten Posinungen der Unterthauen des Sultans feindliche Rolle
spielen. Diese Besorgnisse begründeten sich zwar auf untergeordnete Beweise,
aber es waren nicht die Beweise feindlicher Zeugen, und es waren die besten,
die mir zu Gebote standen. Ew. Excellenz ist nun so gütig, mir zu ver-
sichern, daß Ihre Regierung durchaus keinen Wunsch hege, die Rechte, die
sie in Gemäßheit des Berhiuer Verkrages erworben, auszudehnen oder
zu vermehren, und daß jedwede solche Ausdehnung thatsächlich nachtheilig