Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

352 Großbrillannien. (Mai 12—20.) 
Ministeriums Gladstone bezüglich der orientalischen Frage durch 
eine Circulardepesche an die Vertreter Englands bei den Groß- 
mächten, in der er darauf dringt, daß „der Verzögerung, welche in 
der Ausführung gewisser Bestimmungen des Berliner Vertrags ein- 
getreten ist, ein Ende gemacht werde“ und eine identische Note der 
Großmächte an die Pforte in Vorschlag bringt. Zugleich wird 
Herr Göschen als außerordentlicher Specialbemächtigter mit be- 
stimmten Instructionen, die später in den Blaubüchern veröffent- 
licht werden, neben dem Botschafter Sir H. Layard nach Konstanti- 
nopel geschickt. 
Das Princip, die Beslimmmgen des Berliner Vertrags zur Aus- 
führung zu bringen, sieht sehr unschuldig aus und entspricht dem Bestreben 
sowohl des abgetretenen Toryregimentes als aller übrigen Großmächte. Die 
öffentliche Meinung läßt sich aber dadurch nicht täuschen, daß die Regierung 
Gladstone damit eine ganz andere Politik gegenüber der Türkei einleiten 
will, als bisher befolgt wurde. Bisher hatte das Cabinet Beaconsfield sich 
bemüht, die Türkei gegen Rußland und seine Pläne zu halten, zu stützen, 
zu kräftigen und hatte geglaubt, dafür in dem Berliner Vertrage eine efie 
Grundlage geschaffen und gewonnen zu haben. Gladstone dagegen hatte wäh- 
rend der Wahlagitation laut verkündet, daß die Valkanhalbinsel ausschließ- 
lich den Balkanvölkern gehören müsse, daß Oesterreich dort nichts zu thun 
habe und daß die Türken, diese, „unmenschliche Abart des menschlichen Ge- 
schlechtes' je eher je lieber wieder aus Europa heraus und wieder über 
den Bosporus Mrückheworsn werden müßten. Der Berliner Vertrag wurde 
für die Türkei geschlossen, eine stricte Ausführung desselben soll jebt dazu 
benützt werden, um ihr den Hals wo möglich vollends zuzuschnüren. Ru#z= 
land wenigstens ist damit ganz einverstanden: es kann, seiner Sache sicher, 
nunmehr sich zurückhalten, wenn England es unternimmt, seine Geschäfte 
gegen die Türkei zu besorgen. 
12. Mai. Unterhaus: Der von ihm in der Angelegenheit 
Bradlangh niedergesetzte Ausschuß beschließt mit einer Stimme Mehr- 
heit, derjenigen des Präsidenten, daß unter den obwaltenden Um- 
ständen Bradlangs zum Eid nicht zugelassen werden könne. 
17. Mai. Die Home-Ruler des Unterhauses wählen mit 
23 gegen 18 Stimmen Parnell zu ihrem Leiter. Die radicalen 
Elemente haben demnach innerhalb der Fraction das Uebergewicht 
über die gemäßigteren. 
20. Mai. Feierliche Eröffnung des Parlaments. Thronrede 
der Königin. 
„Unsere Beziehungen zu den fremden Mächten sind herzlich. Die 
Regierung boft— im Einvernehmen mit den anderen Mächten demnächst die 
vollständige Ausf führung des Berliner Vertrages erreichen zu 
können sowohl bezüglich wirksamer Reformen in der türkischen Gesetzgebung 
als auch hinsichtlich der Regelung der Territorialfragen, welche noch nicht 
emäß den Bestimmungen des Berliner Vertrages geordnet sind. Eine solche 
usführung des Vertrages ist wesentlich, um neue Complicationen im Orient
	        
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