Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Eöroßbriltannien. (Oct. 20—24.) 361 
wir den uns schuldigen Pachtzins nicht mehr einfordern, als Friedensrichter 
vermögen wir weiter nicht unsere Pflicht zu erfüllen, da jeder der Landliga 
mißliebige Urtheilsspruch von unserer Seite gleichbedeutend mit einem Todes- 
urtheil für uns wäre. Redliche Pächter, die zahlen können und auch zahlen 
möchten, wagen dieß nicht aus Furcht, als räudige Schafe mißhandelt zu 
werden. Wenn sie es troyzdem thun, dann schleichen sie sich des Nachts 
heimlich mit dem schuldigen Geld zum Gutsherrn oder Gutzaufseher, ver- 
bitten sich aber jede Quiltung, damit ein derarliger compromittirender Schein 
nicht bei ihnen gesunden werde, wenn sie beim Nachhausegehen von den 
Dienern des Vehmgerichts überfallen und durchsucht werden sollten.“ Wie 
ersichtlich, sind die ehrsamen Pächter, die bisher dem Treiben der Liga fern- 
blieben, ebenso sehr eingeschüchtert wie die Grundherren. Auch sie find ihres 
Lebens nicht sicher. Werden sie in ihrer Wohmungen überfallen und miß- 
handelt, dann wagen sie beileibe nicht, sich zur Wehre zu sehzen, denn sie 
wissen nur zu wohl, daß, wenn durch sie einer der Eindringlinge getödtet 
würde, die miteinverstandenen oder einge chüchterten Geschwornen auf Mord 
erkennen würden, wogegen der Mörder freigesprochen würde, wenn er im 
Dienste der Liga gehaudelt hätte. Schlimmer womöglich erdeht es den Ge- 
richtsdienern, die mit Zustellung von Pachtkündigungen beauftragt sind. Sie 
können sich ihrer Amtspflicht nur unter starker Polizeibedeckung entledigen, 
und diejenigen, welche das Gesetz zu vollstrecken haben, schleichen unter dem 
peinlichen Gefühl umher, als ob sie selber Verbrecher und Geächtete wären. 
Auch die Post= und Telegraphen-Beamten schenen sich jetzt, ihren Berufs- 
pflichten nachzugehen; denn sie fürchten sich vor Ueberfällen und Mißhand= 
lungen, wenn sie Träger mißliebiger Botschaften sein sollten. Mit jedem 
Tage steigert sich der gräuliche Unfug. Das Gefühl der Sicherheit ist ge- 
schwunden, das Vertrauen in die Macht des Gesetzes ist dahin, die Zuversicht 
auf die Redlichkeit der Richter und Geschworenen besteht seit lange nicht 
mehr. Zum Schluß erklären die Unterzeichner, daß sie nicht in der Lage 
seien, ihre Aemter als Friedensrichter, Gemeindevertreter u. dgl. fernerhin 
zu verwalten. 
Ein großer Theil der öffentlichen Meinung Englands, felbst 
solche, welche überzeugt sind und es auch laut anerkennen, daß ein 
großer Theil der Beschwerden Irlands nur zu sehr begründet und 
gerecht sei, fordern nachgerade immer dringender energische Maßregeln 
gegen das Treiben der Landliga. Das Cabinet ist jedoch gespalten: 
der vorgeschrittenere Theil derfelben Bright, Chamberlain rc. wollen 
vorerst von solchen noch nichts hören und auch der Minister für 
Irland Forster hält zurück. 
20. October. Die Regierung des Vicekönigs von Irland er- 
läßt für die Grafschaft Kerry eine Verordnung, welche der Ver- 
hängung des Belagerungszustandes gleich kommt, wie dieß bereits 
in den Grafschaften Galway und Mayo geschehen ist. Der Erfolg 
der Maßregel ist jedoch im Ganzen ein kaum spürbarer. 
24. October. In Galway in Irland findet ein großes Mee- 
ting statt, an welchem 40,000 Personen theilnehmen. Parnell macht 
in seiner Rede as Oberhaus und Hrn. Forster für die Agrarmorde 
 
	        
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