Großbriltannien. (Nov. 12 —Mitte.) 363
die Türkei gemacht hat, und der anderen großen Schwierigkeiten, in
Afghanistan, in Südafrika und in Irland auffallend gemäßigt.
In der irischen Frage nimmt der Premier in seiner Rede gegenüber
der Bewegung eine viel entschiedenere Stellung ein, als bisher. Bei den
Wahlen, aus welchen das liberale Cabinet hervorgegangen ist, hat Gladstone
auf die irischen Stimmen rechnen müssen, um eine Mehrheit zu erlangen.
Das Cabinet ist jedoch sart genug um sich auch ohne dieselben im Amte zu
halten, zumal es bei der Abwehr irischer Ausschreitungen auf die Unter-
stützung der Conservativen rechnen kann. Nicht wenig überrascht sind letztere
darüber, daß Gladstone nicht blos seines alten Gegners Beaconsfield in an-
erkennender Weise Erwähnung thut, sondern erklärt, daß die jetzige Regierung
die Orientpolitik der abgetretenen Verwaltung aboptirt habe. Wie anders
lautet diese Sprache als jenc, die Gladstone vor zwei Jahren geführt, wo er
sich nicht geschent hat, von der Politik seiner Gegner als einer Politik von
Briganten zu reden! Und nicht wenigen verändert klingt seine Sprache über
die Türkei. Man sollte es nicht für möglich halten, daß der Mann, welcher
heute dem Sultan Lob strent und selbst anerkennende Worte für die nicht-
christlichen Racen der Türkei hat, der gleiche Mann ist, der vor den Wahlen
England mit antikürkischen Brandreden durchzog und die Türken mit Sack
und Pack aus Europa austreiben wollte. Und noch bis kürzlich herein mußte
man beforgen, daß Herr Gladstone. eine Politik des Niederstürmens der Türkei
verfolge. Nun erklärt er, daß seine Regierung keine Feindin der Türkei sei.
daß er ihre Existenz nicht bedrohe und nur im Interesse derselben auf die
Erfüllung des Berliner Vertrags und von Reformen dringe; und er will
auch in dieser Frage nicht isolirt handeln, sondern nur im Verein mit
Europa.
12. November. Die Regierung beschließt vorläufig, das Par-
lament auf Anfang Januar einzuberufen, bis dahin aber die Frage
von Ausnahmemaßregeln für Irland offen zu lassen. Bright und
Chamberlain haben mit ihrer Demission gedroht und man spricht
sogar von einer förmlichen Cabinetscrisis.
12—27. November. Die Boycott-Affaire in Irland.
Capitän Boycott, ein Gutsbesitzer bei Ballinrobe, Grafschaft Mayo,
der sich ürigens nicht durch ganz besondere Uuthaten bekannt gemacht hatte,
ist von der Bevölkerung in Acht und Bann gethau worden Seine Land-
arbeiter und seine Dienstboten haben ihn sämmtlich verlassen; er ist in
seinem Hause mit seiner Familie allein und wie belagert. Seine Kartoffel-
ernte kann nicht eingeheimst werden und droht zu verjaulen. Da entschließen
sich Heimung-genassen im protestantischen Norden der Insel, ihm zu helfen
und brechen 60—70 Mann stark auf, ihm seine Kartoffeln auszuthun. Aber
die Regierung ist genöthigt, sie während der Arbeit mit Truppen zu schügen
und auch aus der Gegend wieder wegzuführen. Die Kosten dafür werden
auf 10,000 Pfd. St. geschätzt. In Irland aber kommt die Bezeichnung
„Boycotktiren“ auf. Capikän Boycott selbst verläßt zugleich mit feinen Hel-
sern das Land und geht nach England.
Mitte November. (Südafrika.) Unter den Boers in Trans-
vaal brechen Unruhen aus. Es müssen Truppen dahin beordert
werden. Gleichzeitig greift der Aufstand der Basutos und der ihnen
benachbaiten Stämme um sich.