38 Das deulschet Reich und seint einjelnen Glieder. (Jan. 9.)
früher in vielen Veziehungen besser gewesen. Dr. v. Luh befinde sich heute
noch in der Situation, von beiden Parteien einigermaßen mit Mißtrauen
betrachtet zu werden, und diese Stellung habe er zu Gunsten des modernen
Staatswesens auszunützen verstanden. Bald nachdem der Minister seine
Stellung übernommen, jei er mit dem Gedanken hervorgetreten, der für ihn
epochemachend werden sollte, er habe der Rirche offen den Krieg angekündigt.
In der an den Erzbischof von München- Freising unterm 27. Juli 1871
ergangenen Entschließung sei der letzte Faden zwischen Kirche und Mini-
sterium gebrochen worden. In dieser Eutschlichnng geen die Bischöfe sogar an
das Gefängniß erinnert worden. Dr. v. Lußz sei der Urheber des Kanzelpara-
graphen und habe das Signal zum Culturkampf güsen Am 27. Jan. 1872
sei zum ersten Male der Sturm in diesem Hause losgebrochen; damals habe
es sich um die Beschwerde des Bischofs von Augsburg wegen des Altkatho-
licismus gehandelt. Der Ausgang jenes Tages sei ein neuer Sieg für Herrn
v. Lutz gewesen und von daher datirte die Möglichkeit, daß an der katho-
lischen Universität München Lehrer wirkten, welche der katholischen Kinhe
nicht angehörten und die Möglichkeit der Beschimpfung der katholischen Kirche
bei dem feierlichsten Akte. Auch heute sei von Herrn v. Luh ein Buch vom
Unterrichte ausgeschlossen, in welchem eine Lehre vorgetragen werde, die nach
Erklärung des Ministers staatsgefährlich sein sollte. Der Sieg vom 27. Ja-
nuar 1872 sei ein folgenschwerer. Den größten Sieg habe Dr. v. Luh durch
seine das Schulwesen betreffende Verordnung vom Jahr 1873 errungen,
welche der schwerste Schlag gewesen, der die Kirche in diesem Jahrhundert
getroffen, denn sie habe einen gefährlicheren Zustand, als er vor dem Con-
cordate bestanden, geschaffen. Das lette Palladium der Katholiken habe
Dr. v. Lu# zerstört, als er das berühmte Tegernsee'r Königswort eine räthsel-
hafte Phrase genannt. Damit sei die Kirche zur Landeskirche degradirt wor-
den, als was sie bereils im Sulhbacher Kalender erscheine; denn in diesem
rscheine sie quasi als Unterabtheilung des Cultusministeriums. Lut# der
Siegreiche (Heiterkeit) habe seinen Siegeslauf noch nicht beendet. Seit dem
#ahre 1873 sei ein früher unerhörtes Ereigniß zu verzeichnen. Frühter
hätten sich nämlich die Bischöfe gemeinsam an die Regierung gewendet,
allein seit 1873 horrsche tieses Schweigen. Schon in dieser Session habe
Redner auf diesen Umstand hingewiesen und damals den unterbrochenen
Satz in den Saal hineingeworfen: „Warum — darum!“ Dieier Satz
scheine nicht recht verstanden worden zu sein, und deßhalb wolle er deu-
selben heute erklären. Der ministerielle Papierkorb fei eine der Ursachen
des Schweigens. Die andere Ursache sei die, daß sich der Staatsminister
rühmen könne, Bresche in die oberste kirchliche Festung“ Bayerns geschossen
zu haben. Er wolle hier bloß daran erinnern, daß sel # der heilige Vater
intervenirend gegen den Minister eingelreten sei. Diese Dinge sind traurig.
Der Minister sei vom Glück so begünstigt, daß er noch ingen mußte, daß
im gegnerischen Lager selbst ein Umschwung sich vollzogen, der vielfach zu
seinen Gunsten ausgefallen. Bertrauliche Besiehungen zwischen dem Minister
und einzelnen Katholiken hätten schon vor langer Zeit stattgefunden. Auch
sei es dem Minister gelungen, den Pairsschub in der oberen Kammer so zu
gestalten, daß die Regierung heute dort die Mehrheit habe, und die Ab-
stimmung der oberen Kammer in der Simultanschulfrage zeuge von dem
dem Minister dargebrachten Dank für sein kluges Verhalten. Herrn v. Lut
sei es auch gelungen, den Clerus in ; Theile zu theilen, in Friedsame und
Agitatoren, was auch ein Sieg sei; sogar von einem Theile der katho-
lischen Presse werde der Minecen ziristubs Das Gesagte sei ein Bild der
Zustände Bayerns, wie es herzzerreißender nicht gedacht werden könne, allein
welch' ein Bild für den Minister, gegen den 3 Kammern gewählt worden seien?