460 Rußland. (Febr. 10—17.)
die Lage ist, zeigt schon der Umstand, daß man sich das Zusammenströmen
vun Fürsten und Prinzen verbeten hat. Zum Vorwand dient die Krankheit
der Zarin; aber offenbar wäre ein solches Herbeiströmen von Fürstlichkeiten
an sich eine Ouelle großer Verlegenheit für den zarischen Hof, und so ist
es natürlich, daß man vermeidet, noch Gäste zu einem Feste zu laden, dessen
Stimmung gewiß als eine sehr trübe sich darstellen wird, so glanzvoll auch
das Aenpßere sich zeigen mag.
10. Februar. General Skobeleff wird zum Obercommandi-
renden der neuen Expedition gegen die Tekinzen in Mittelasien er-
nannt.
17. Febrnar. Das angedrohte (s. 10. Dec. 1879) Attentat
auf den Kaiser im Winterpalaste findet wirklich statt, mißlingt aber.
Eine Dynamit-Explosion erfolgt unter dem Speisesaal des Winter-
palais vom Erdgeschoß aus, wo sich die Centralheizungseinrichtung besinet,
gerade in dem Augenblick, als der Kaiser mit dem Prinzen von Henssen und
dem Fürsten von Bulgarien durch eine Thür, die gesammte kaiserliche Fa-
milie, mit Ausnahme der kranken Kaiserin, durch eine andere Thür eintreten
wollen. Die Explosion ist dermaßen stark, daß die Gewölbe des Erdgeschosses,
sowie die Wachtstube àurchceschlagen, die Dielen des Speisesaals krumm-
gezogen und die Tische und das G# Ersschirr im kaiserlichen Späsesanl ausein-
andergeschleudert werden. Zwei Diener erhalten Verlehungen. Die Kraft
der Explosion beweist auch die große Zahl zersprungener Fenstersch eiben im
Winterpalais, und in den Nachbarhäufern am Newa-Quai. Da durch den
Luftdruck das Gas ausgelöscht wird, herrscht vollkommene Finsternif- Der
Kaiser bewahrt volle Geistesgegenwart.
Eine nihilistische Proclamation auf einem Octavpblatt starken
weißen Papiers mit ungleichmäßigen russischen Lettern hergestellt, und zwar
nicht mit der Druckerpresse, sondern mit einem sog. Bürstenabzug, gibt von
dem Attentat alsbald solgendermaßen Kunde: „Auf Befehl des Executiv=
Comités ist um 6 Uhr 22 Minnten des Nachmittags vom 5/17. Februar
ein neues Attentat auf das Leben des — — Alexander ausgeführt worden.
Der Plan, auf dessen sicheres Gelingen man gehofft, ist vereilelt worden, da
der Zar die gewöhnliche Diner-Stunde nicht innehielt. Die Explosion fand
ihn auf dem Wege zum Speisesaal. So ist das Unglück unseres Bater-
landes gerettet worden. Mit tiefer Belrübniß erfüllt uns der Tod jener
armen Soldaten, dieser unglücklichen, gezwungenen. Leibwächter des gekrön-
ten — —. Doa indessen die Armee es isl, auf welche der Despotismus sich
stüxt, so wird man sich auf derartige tragische Ereignisse gefaßt halten
müssen, bis sie zu der Einsicht gelangt sein wird, daß die heiligsten Inter-
essen des Vaterlandes von ihr erheischen, sich für das Volk gegen den Zaren
zu erklären. Noch einmal führen wir es ganz Rußland vor die Seele: Nur
gezwungen haben wir den Kampf begonnen, —. durch den Despotis-
mus, durch den Druck der Thranneiz; unser Endzweck ist das Glück des
Volks. Die Regierung ist das jkite Hinderniß einer freiheiklichen Ent-
wicklung des nationalen Lebens; sie läßt dem anständigen Mann nur die
Wahl zwischen dem unbedingten Aufgeben eines jeden dem Volkswohl sich
zuwendenden Gedankens und dem Kampfe bis aufs Messer gegen die sebigen
Gewalthaber. Noch einmal erklären wir: wir werden von diesem Kampfe
nicht abstehen, bis Alexander II, seine Macht in die Hände des Volle
niedergelegt, bis eine constituirende Nationalversammlung die
Grundlagen einer socialen Reform festgestellt haben wird. Wemn dieser erste
