Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Uebersicht der polilischen Enlwichlung des Jahres 1880. 559 
hatte, ausdrücklich und förmlich zurücknehmen müsse, und verweigerte 
dem Entwurf ihre Genehmigung, so lange das nicht der Fall sei. 
Der Erzbisthumsverweser beeilte sich, dem Verlangen zu entsprechen 
und der Friede war alsbald geschlossen. Doch blieb eine lebhafte 
Verstimmung zwischen der Kammermehrheit und dem Minister des 
Innern v. Stößer zurück. Bedeutend schwieriger lagen die Verhält-Preußen 
nisse in Preußen. Die Unterhandlungen mit der päpstlichen Curie un % 
hatten zu keinem Resultate geführt und waren schließlich ganz ab- * 
gebrochen worden. Der Papst hatte während derselben in einem geiet. 
Brief vom 24. Februar l. J. an den Erzbischof von Köln das 
Zugeständniß gemacht, daß er die Anzeigepflicht der Bischöfe, den 
Ursprung und Ausgangspunct des Kirchenconflicts mit Preußen, 
allenfalls würde „dulden können“, worauf die preußische Regierung 
durch einen Staatsministerialbeschluß vom 17. März erklärte, daß 
sie das Zugeständniß dankend acceptiren würde, aber doch warten 
wolle, bis es auch thatsächlich gemacht werde. Sie schob also den 
ersten Schritt dem Papst zu, der damit antwortete, daß er auch 
das halbe Zugeständniß wieder zurücknahm. Die preußische Regie- 
rung entschloß sich nun, die ganze Frage von sich aus zu lösen und 
zwar im Einverständnisse mit ihrem Landtage, also ohne sich gegen- 
Üüber der Curie irgendwie zu binden. Freilich war auch das un- 
möglich, ohne von den Maigefetzen wenigstens bis zu einem gewissen 
Grade Umgang zu nehmen und sie beschloß daher, vom Landtage 
sich eine discretionäre Gewalt bezüglich derfelben ertheilen zu lassen. 
Nach Canossa zu gehen, gedachte der Reichskanzler darum auch nicht 
von ferne. Derselbe erklärte vielmehr gelegentlich ausdrücklich, die 
Regierung wolle mit nichten etwa ihre Waffen zerbrechen oder weg- 
werfen, nur dazu sei sie bereit, sie behufs eines thatsächlichen Aus- 
gleichs vorerst auf dem Fechtboden niederzulegen, um sie, wenn es 
nöthig sein sollte, jeden Augenblick wieder aufnehmen zu können. 
Am 20. Mai legte die Regierung dem Landtage wirklich einen Ge- 
sehesentwurf vor, der sie bevollmächtigen sollte, von gewissen, bestimmt 
umschriebenen Puncten der Maigesetze Umgang zu nehmen, und so- 
gar so weit ging, daß sie ermächtigt sein sollte, die staatlich abge- 
setzten Bischöfe unter Umständen wieder zurück zu rufen. Das hieß 
in der That die Hand zur Versöhnung weit entgegen strecken, wenn 
auch officiös versichert wurde, daß die Befugniß so lange ruhen 
würde, bis die Curie ihrerseits ihren guten Willen bekunde. Ein 
Theil des Abgeordnetenhauses fand sogar, daß sie die Hand mit