Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

Uebersicht der polilischen Entwichlung des Jahres 1880. 571 
fand in Sennyey neuerdings einen Führer von großer Begabung 
und entschiedenem Character, der den Gebrechen des herrschenden 
Regiments scharf zu Leibe ging. Ein Umschwung schien zwar noch 
nicht gerade nahe, lag aber bereits nicht mehr außer dem Bereiche 
der Möglichkeit. Bedenklich ist dabei nur, daß wenigstens die äußerste 
Linke offen und entschieden auf eine Lösung des bisherigen Verhält- 
nisses zu Oesterreich und auf Herstellung einer reinen Personalunion 
mit demselben ausgeht und daß die Idee unläugbar auch in wei- 
teren Kreisen Fortschritte gemacht und Wurzel gejaßt hat. Jeden- 
falls ist das Verhältniß zu Oesterreich durchweg ein ziemlich kühles, 
wesentlich kühler, als zu wünschen wäre. Im Laufe des Jahres 
brach sogar in Ungarn schmählicher Weise eine kleine Deutschenhetze 
aus, der die Regierung Tiszas Anfangs nicht einmal energisch eni- 
gegen zu treten wagte, bis sie schließlich von selbst im Sande zu 
verlaufen anfing. Ueberhaupt stand der magyarische Chauvinismus 
in schönster Blüthe und darin bildete Transleithanien einen scharfen 
Gegensatz zu Cisleithanien. Während das Regiment Taaffe hier 
das deutsche Element, das doch den Staat allein zusammenhält und 
durchgeistigt, von den viel tiefer stehenden Slaven in die Minorität 
herabdrücken und in seinen Interessen aufs tiefste beeinträchtigen 
und bedrohen ließ, hielt das Regiment Tisza dort die Herrschaft 
der ungarischen Sprache mit scharfer Hand aufrecht und fuhr na- 
mentlich fort, Siebenbürgen gegen die deutschen Sachsen wie gegen 
die zahlreicheren Numänen nach Kräften zu magyarisiren. Hierin 
und sonst wird gewiß vielfach über das billige Maaß hinausgegangen. 
Dagegen läßt sich dafür anführen, daß es für Ungarn, in dem die 
Magyaren eine nicht gar starke Minderheit bilden, eine Staats- 
nothwendigkeit sei, und daß die Magyaren wenigstens eine Literatur 
besitzen, mit der sich die Czechen in Oesterreich auch nicht von ferne 
messen können. . 
Was die freie Bewegung beider Reichshälften, der einen so Finanz- 
gut wie der andern, vielfach hemmt und lähmt, ist die nichts we= lage. 
niger als befriedigende Finanzlage, die Jahr um Jahr ein sehr be- 
trächtliches Deficit aufweist, das sie nicht wegzuschaffen im Stande 
sind und das daher Jahr um Jahr durch neue Schulden gedeckt 
werden muß. In Oesterreich hatte sich die verfassungstreue Partei 
und Regierung wenigstens bemüht, das Desicit allmälig zu besei- 
tigen und glaubte auf dem besten Wege dazu zu sein. Die ver- 
bündeten Parteien der Rechten und die Regierung Taaffe scheinen
	        
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