Full text: Europäischer Geschichtskalender. Einundzwanzigster Jahrgang. 1880. (21)

572 Aebersicht der politischen Entwichlung des Jahres 1880. 
ihrerseits jeden derartigen Versuch ganz aufgegeben zu haben. Nun 
läßt sich allerdings nicht verkennen, daß diese unbefriedigende Finanz- 
lage auch für Oesterreich wesentlich der schweren Militärlast zuge- 
schrieben werden muß. Allein diese Last ist unter den obwaltenden 
Umständen für Oesterreich-Ungarn eine Staatsnothwendigkeit, wie 
sie es eine solche für Deutschland ist, und es ist unseres Erachtens 
ein Mißgriff der verfassungstreuen Partei Oesterreichs, wenn sie 
dagegen ankämpft. 
Die Die Delegationen tagten zu Anfang des Jahres in Wien und 
- Ende desfselben in Pesth. Dieselben wickelten ihre Geschäfte 
ohne gefährliche Zwischenfälle ab. Die Regierung kann erfahrungs- 
gemäß ziemlich sicher sein, ihre wohlerwogenen Anträge mit nicht 
allzu empfindlichen Abstrichen auch durchzubringen. Etwas auffal- 
lend war es freilich, daß der Reichskriegsminister in der ersten Ses- 
sion bestimmt versicherte, daß die Befestigungsfrage seit zwei Jahren 
für die ganze Monarchie erledigt sei, trotzdem aber schon in der fol- 
genden nicht unerhebliche Credite für Befestigungen an der italieni- 
schen und an der russischen Grenze verlangte und zwar theilweise 
nur als erste Raten, wobei er die Kosten einer systematischen Reichs- 
besestigung auf mindestens 60 bis 80 Mill. Gulden bezifferte. Die 
geforderten Credite wurden indeß im wesentlichen doch bewilligt. 
Im Laufe des Jahres trat der Reichsfinanzminister v. Hofmann 
von seinem Posten zurück, offenbar nicht aus Gesundheitsrücksichten, 
sondern lediglich um einem Ungarn in der gemeinsamen Regierung 
Platz zu machen, da diese seit dem Rücktritte Andrässys keinen Un- 
garn mehr in ihrem Schooße zählte. Er wurde durch den bisheri- 
gen Präsidenten des ungarischen Abgeordnetenhauses Szlavy ersetzt. 
Bosnien. Bezüglich seiner auswärtigen Angelegenheiten fällt für Oester- 
reich-Ungarn vor allem aus seine Stellung auf der Balkanhalbinsel 
ins Gewicht. Die Oceupation Bosniens und der Herzegowina ist 
vorerst allerdings nur die Uebernahme eines harten Stücks Arbeit, 
das auch viel Geld kostet und das daher sowohl in Oesterreich 
als in Ungarn vielfach Unzufriedenheit erregt und bis jetzt nur 
wenig Früchte gebracht hat. Aber außerhalb Oesterreich-Ungarns 
erkannte man darin ziemlich allgemein eine für dasselbe zwingende 
Nothwendigkeit, der es sich nicht entziehen konnte. Wie weit es in 
seinen Bemühungen für Bosnien und die Herzegowina bis jeßt ge- 
kommen, ist im Einzelnen wenig bekannt geworden. Es hält wenig- 
stens die Ordnung aufrecht und hat eine geregelte Verwaltung ein-
	        
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