Pas deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 25.) 77
früheres Mitglied der Regierung auch heute noch ganz auf dem Standpuncke
der Gesebgebung von 1874 stehe, daß er dieselbe stets mit gutem Gewissen
vertreten habe und keinen Widerspruch darin finde, wenn er jet der Vor-
lage ebenfalls beitrete, da dieselbe nur eine Abänderung in einem einzelnen
Falle sei. Fauler: Es komme nicht darauf an, wer die Initiative zur
vorliegenden Verständigung ergriffen habe. Sei es die Regierung, so habe
die Curie bereits anerkannt, daß der Entschluß zu dieser Initiative hoch-
herzig sei. Dagegen hat der Redner aus dem veröffentlichten Briefwechsel
zwischen der Regierung und der Curie weniger befriedigende Eindrücke er-
halten und kann nicht anerkennen, daß von Seiten der Regierung die be-
treffenden Verhandlungen mit Geichis geführt worden seien. Die Regierung
habe wissen müssen, daß das Land und die Stände auf der Wahrung des
Ansehens des Gesehes vor allem bestehen. Der Redner eritisirt das Schrei-
ben des Erzbislhumsverwesers vom 5. Januar ds. Is. und äußert sein Er-
staunen unumwunden, daß sich die großhergogliche Regierung dieß bieten
ließ. Die Commission dürfe sich des Erreichten freuen, denn sie habe dabei
die Ehre des Landes und dieses Hauses gewahrt. Leider sei die Frude über
den Friedensschluß keine ungetrübte, denn die Vorgänge in letzter Zeit,
welche geeignet waren, die Beziehungen zwischen der Regierung und der
Kammermehrheit zu trüben, erfüllen ihn mit dunkeln Ahnungen, daß der
Friede zwischen Slaat und Kirche nicht auch von dem Frieden zwischen Re-
Jierung und Volksvertretung begleitet sei. Ministerialpräsident Stösser
Figt den Weg, den die Regierung bis zum heutigen Gesetzentwurfe gemacht.
Die Initiative zur Anbahnung eines Ausgleichs sei aus Anlaß einer Be-
rufung nach Freiburg von dort aus erfolgt. Seine (des Ministers) Antwort
sei dahin gegangen: daß er eine Milderung auf dem Boden des Gesebes für
möglich halte. Hierauf sei im Juli v. Is. das erste Schreiben des Capitels-
vicariats in der Sache eingekommen. Die Regierung habe sich nicht beeilt
mit den Unterhandlungen und so fei erst am 4. October von Freiburg aus
ein Vorschlag erfolgt, wie man eine Aenderung auf dem Boden des be-
stehenden Gesetes erreichen könne. Die Geneigtheit, der Kammer ihrerseits
zuzustimmen, habe die Regierung zuerst aus dem Gauge der Adreßverhand-
lung geschöpft. Die Regierung sei bei ihrem Vorgehen lediglich von der
Rücksicht auf die Befriedigung des religiösen Bedürfnisses geleitet worden.
Nicht nur habe die Verwaisung der Pfarrstellen begonnen, sondern auch das
Studium der Theologie in auffallender Weise abgenommen. Redner gibt
zu, daß die Zuriiknahme der Verbote von Seiten der Curie bie natüriichse
Lösung der vorhandenen Schwierigkeiten geboten hätte. Die Kirche habe
ein großes Interesse daran, daß die Pastoration ihren regelmäßigen Gene
nehme, aber auch an der Erhaltung ihrer seit Jahrhunderten gegründeten
Stellung. Dieß wüüsse man festhalten bei Beurtheilung des Berhaltens der
Curie. Redner will nicht verkennen, daß die Haltung des Hauses vom
größten Einfluß auf die Entschließung der Curie gewesen sei, aber es sei
uch die allerhöchste Vermittelung des Landesherrn nicht zu vergessen. Der
Minister stellt den Bemängelungen des früheren Gesehentwurfs seine Ein-
würfe entgegen. Es sei nicht Absicht der großherzoglichen Regierung gewesen,
einen abges nossenen Zustand herbeizuführen, sondern dem Capitelsvicariat
die Wahl zu lassen zwischen der einen oder anderen Modalität. Er stelle
es dem Urtheil der Oeffentlichkeit anheim, ob die Regierung die Nechte des
Landes wahrte oder nicht, und habe die Resignation, daß der erste Geselh-
gutwurf verschwinde und an seine Stelle ein anderer trete, welcher nicht nur
die Harmonie zwischen Kirche und Staat, sondern auch die zwischen der Re-
gierung und der Kammermehrheit bringe. Fieser ist der Meinung, daß
die Regierung, wenn sie in einem Angenblick, wo gar keine Nöthigung dazu