56 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 3.)
gewöhnlich provocirte Irritation. Zuerst sucht er einzelne Behauptungen
Richters zu entkräften, wobei er auf seiner Anschauung beharrt, daß die
Zölle nicht von den Consumenten, sondern von den Importeuren getragen
werden müßten, und verbreitet sich dann ausführlich über die Grundsteuer,
indem er nachzuweisen sucht, daß sie eine unverhältnißmäßige Belastung des
Grundbesitzes darstelle und durch die Zuschläge noch unbilliger werde. Die
Grundsteuer solle daher aufhören, ein Mabstab für Zuschläge zu sein. Er
wünsche Den, der nur von seiner Hände Arbeit lebe, ganz steuer-
frei zu stellen und die Belastung erst da beginnen zu lassen, wo
wirklich Capital vorhanden sei. Wenn durch Ueberweisungen an die
Kreise auch nur eine Erleichterung der Schullast eintrete, so sei Das schon
eine unendliche Wohlthat. Sein Princip sei nicht die bestimmte Abschaffung
von Steuern gewesen, sondern ein Ausgleich zwischen dem zu großen Maße
der directen und dem geringen Maße der indirecten Steuern, worin England
und Frankreich längst vorausgeeilt seien. Er wolle mehr indirecte als di-
recte Steuern haben und nur die Einkommensteuer beibehalten, die übrigen
Steuern nicht abschaffen, sondern den Kreisen und Communen überlassen.
Man habe sich durch das vorjährige Verwendungsgesetz diesen Zielen bereits
genähert und der Zustand, welchen er erreichen will, müsse mit diesem Ver-
wendungsgesetz beginnen. Möge man den von ihm vorgeschlagenen Weg
gehen! Daß es in den letzten Jahren besser geworden sei, post hoc oder
propter hoc, darüber werde Niemand streiten. Man spreche dauernd über den
Tabak. „Ich bekenne mich offen zu der Ansicht, daß der Tabak
mehr bringen muß als bisher. Ich muß größere Mittel haben
und halte den Tabak für ein sehr geeignetes Object, sie zu er-
halten. Parlamentarische Kämpfe können mich von meinen Principien
nicht abbringen. Ich werde nicht zurücktreten, bis der Kaiser mich
zurücktreten heißt. Ich bin zu diesem Entschluß gekommen, nachdem ich
gesehen, wer sich über meinen Rücktritt freuen würde; da erst erkannte ich,
daß und warum ich aushalten muß, so lange es meine Kräfte zulassen.
Ich habe auch meine wirthschaftlichen Ansichten nicht geändert, habe sie aber
nicht eher ausgesprochen, als bis ich Zeit hatte, dieselben in mir zu ent-
wickeln und zu befestigen. Ich verlange nicht den Erlaß der Grundsteuer,
aber eine erhöhte Heranziehung des Capitals. Ich bitte das Ge-
setz nicht in der Commission zu begraben, sondern offen Ja ober
Nein zu sagen.“ v. Huene (Centrum) rechtfertigt das ablehnende Ver-
halten des Centrums, aber wesentlich ausweichend, indem dasselbe den Be-
schlüssen des Reichstags nicht präjudiciren wolle. Rickert (Secessionist) er-
klärt, er und Bamberger seien zwar Freihändler, aber keine principiellen
Gegner des Tabakmonopols. Sie seien gegen dasselbe, weil sie einer Ein-
führung des Monopols nur mit Entschädigung zustimmen könnten, was das
Monopol wieder unrentabel machen würde. Der vorgeschlagenen Reform
könne er nicht zustimmen, weil den hohen indirecten Steuern ein verschwin-
dend kleiner Stamm directer Steuern gegenüberstehen würde. Das Steuer-
Programm könne Norddeutschland und Süddeutschland in zwei feindliche
Gruppen zerreißen. Regierungscommissar Burghart weist letzteres
aufs entschiedenste zurück und empfiehlt eine wohlwollende Prüfung der Vor-
lage durch eine Commission. Die Regierung sei gern bereit, etwaige Mängel
zu beseitigen. Frhr. v. Hammerstein (conserv.) erklärt: es werde nicht
gelingen, die Conservativen von der Regierung zu trennen; die Conservativen
ständen voll und ganz auf dem Boden der Politik des Reichskanzlers.
Das Resultat der Debatte ist, daß mit Ausnahme der Conser-
vativen keine Partei der Vorlage günstig ist und daß es auch die Conserva-
tiven nur unter erheblichen Vorbehalten sind. Eine noch größere Rolle spielen