Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 12—14.) 65
nicht Stellung genommen zu haben. Ein Antrag, zur Tagesordnung
überzugehen, wird mit Stimmengleichheit abgelehnt und der Antrag
gegen das Monopol mit 23 gegen 19 Stimmen angenommen. Auch
ein Teil der Minderheit ist gegen das Monopol, bestreitet aber die
Kompetenz der Kammer zur Entscheidung dieser Frage.
12. März. (Preußen.) Der neue Gesandte v. Schlözer hat
seine erste Audienz beim Papste. Der Papst versichert denselben,
„wenn es nur von ihm abhinge, wäre ein Einvernehmen bereits in
allen Punkten hergestellt“, und die Blätter zerbrechen sich den Kopf,
was der Papst damit eigentlich habe sagen wollen.
13. März. (Bayern.) I. Kammer: lehnt nach dem An-
trage des Bischofs Dinkel von Augsburg ihren Beitritt zu dem
Beschluß der ultramontanen Mehrheit der II. Kammer, das siebente
Schuljahr wieder abzuschaffen, mit allen gegen bloß 2 Stimmen ab.
14. März. (Preußen.) Abg.-Haus: Beratung des Kultus-
etats: die Ultramontanen greifen die Zustände an den deutschen
Universitäten und die Fortschrittspartei die Ausschreitungen eines
servilen ostpreußischen Schulinspektors gegen sie mit Vehemenz an.
Die Dotation des altkatholischen Bischofs wird aus der Etatsposition
der katholischen Bischöfe entfernt und als eigene Position eingestellt.
Bezeichnenderweise sind die Debatten über den Etat des Kultusmini-
steriums in mancher Hinsicht. sehr wesentlich verschieden von denjenigen
früherer Jahre, als Minister Falk noch im Amte war. Sie zeichnen sich
seitens der Konservativen und des Zentrums durch große Schonung gegen
die Regierung und die Person des derzeitigen Kultusministers aus; zu einer
Reihe kleiner Liebesdienste, wie der Kreierung einer neuen Direktorstelle im
Kultusministerium, der Einsetzung eines zweiten Generalsuperintendenten für
die Provinz Sachsen u. dergl., bietet das Zentrum bereitwillig die Hand.
Die Leidenschaft früherer Tage zuckt nur dann und wann noch einmal auf.
Allein bei allem Entgegenkommen in den Formen, bei allem Bestreben,
nach oben möglichst wenig zu verletzen und anzustoßen, wird sachlich doch
kaum irgendwo eine Nachgiebigkeit in den Ansprüchen des Zentrums be-
merkt. Die Art, in welcher das Zentrum mißliebige Institute aus der
Kulturkampfgesetzgebung, wie z. B. den geistlichen Gerichtshof oder die alt-
katholische Bischofswürde, behandelt, ist noch ebenso schneidig, wie nur je.
Abgeordneter v. Jazdzewsky (Pole) beschwert sich in lebhaftem Tone
über die Härte, mit der die Maigesetze in Posen ausgeführt würden, über
die staatliche Verwaltung des Bischofsvermögens, die Fortdauer der Tem-
poraliensperre u. dergl. Der Kulkusminister v. Goßler weist diese
Beschwerden zurück und erklärt, daß zur Aufhebung des Sperrgesetzes für
die Provinz Posen durchaus kein Anlaß vorliege, da der polnische Klerus
noch immer die nationale großpolnische Agitation betreibe. Durch diese
Ausführungen gerät Windthorst in eine etwas gereiztere Stimmung, als
es bisher bei diesen Debatten der Fall war. Er vermißt an dem Stand-
punkt der Regierung alle Hochherzigkeit und fordert allgemeine Aufhebung
des Sperrgesetzes und der über die krankenpflegenden Orden ergangenen Be-
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XXIII. Bd. 5