72 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 17 —18.)
die Verschiedenheit zu illustrieren, auf Hessen-Nassau hingewiesen, wo in
18 Kreisen solche Abgaben überhaupt nicht erhoben werden und die Aus-
gaben überhaupt zum großen Teil aus Jagdscheingeldern und sonstigen extra-
ordinären Einnahmen bestritten werden. Die gesamten Kreisabgaben be-
tragen für Preußen 25.864.406 Mark, die Hälfte der Grund- und Gebäude-
steuer 620.38.067 Mark. In der direkten Besteuerung wird der Grund der
finanziellen Bedrängnis der Städte gesehen, und die Regierung betrachtet es
als ihre Aufgabe, die Schranken zu beseitigen, welche der Einführung ge-
eigneter indirekter Gemeindeabgaben entgegenstehen. Die Frage der
Gehaltsaufbesserung der Beamten wird als dringende betrachtet, es
sei ins Auge gefaßt, nicht unter 15 Prozent des Gehaltes aufzubessern, bei
den untersten Beamten soll mindestens dieser Satz gelten. Es sind erfor-
derlich für höhere Verwaltungsbeamte 2.379.946, für Lehrer 2.058.664, für
Subaltern- und Unterbeamte 14.901.455 und für die Erhöhung der Re—
munerationsfonds 625.675, zusammen also 19.965.737 Mark. Behufs der
Gleichstellung der Lehrer an den Gemeindeschulen mit den Lehrern an den
Staatsschulen kommen event. noch 1.200.000 Mark hinzu. So gelangen die
Motive zu dem Schlußsatze: Soll der ganze Betrag der im Gesetzentwurf
als verwendungsbedürftig vorgesehenen Mittel aus Reichssteuern bestritten
werden können, so würde dies die Bewilligung neuer Reichssteuern
im Betrag von 188 Millionen erheischen.
Daß das Verwendungsgesetz in dieser neuen Fassung mehr Anklang
im Abgeordnetenhause finden sollte, als im vorigen Jahre, ist von vorne-
herein kaum anzunehmen. Die Aussicht, daß der Reichs- tag 188 Mill. Mark
neue Reichssteuern bewilligen werde, ist außerordentlich gering, da derselbe
wohl an seiner Abneigung gegen das Monopol festhält und selbst dieses
bestenfalls von 188 Millionen nur 100 Millionen in Aussicht stellt, da man
doch von der Reineinnahme von 165 Millionen den Ertrag der bestehenden
Steuer in Abzug bringen muß.
17. März. (Baden.) I. Kammer: beschließt, die Regierung
zu ersuchen, in Erwägung zu giehen, wie eine Enquete über die
Verschuldung der bäuerlichen Grundbesitzer angestellt werden könnte.
18. März. (Preußen.) Der Papst, in dessen Hände das
Domkapitel von Paderborn sein Wahlrecht gelegt hat, ernennt den
Bistumsverweser Drobe zum Bischof von Paderborn.
Ein Teil der Presse meint, nach den neuesten Vorgängen wäre es
wohl an der Zeit, den Domkapiteln das Wahlrecht überhaupt zu erlassen
und die Ernennung der Bischöfe der Vereinbarung zwischen Papst und Staat
zu übertragen. Der Staat würde dabei besser und bequemer wegkommen
und die nachgerade lächerlich gewordene Wahlbefugnis der Domkapitel, die
in der Tat gar keine mehr sei, würde auch als Fiktion aufhören zu
existieren.
— März. (Preußen u. Sachsen.) Die Blätter berichten
über eine slavische Agitation unter den sächsischen Wenden der Lausitz
und den preußischen der Oberlausitz. Die Sache ist für die Zeit-
läufe charakteristisch, aber doch ganz ungefährlich, denn der ganze
Stamm zählt heute zusammen vielleicht noch 120.000 Seelen mit
vier verschiedenen Dialekten und sein völliges Verschwinden als
Stamm ist nur eine Frage der Zeit.