Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 23.) 75
daß von einem prinzipiellen Ausgleich gar nicht die Rede sein kann. Alle
diese Schwierigkeiten wohl im Auge behalten, dürfte es doch sehr irrig sein,
jedes positive Resultat der Verhandlungen, wie langsam dieselben auch vor-
wärts kommen, als ausgeschlossen zu betrachten. Denn beide Teile haben
allerdings das größte Interesse, keinen Fehler zu begehen, aber auch das
Bewußtsein, daß es wahrscheinlich der größte Fehler wäre, aus Furcht vor
einem Fehler den Streit ungeschlichtet zu lassen. Den Kanzler nehmen jetzt
Sorgen in Anspruch, die größer als selbst der Streit mit Rom sind. Doch
ist er nicht der Mann, um gehäufter Sorgen willen ein Schlachtfeld als
Besiegter zu verlassen. Er weiß, daß er die Kraft des Geistes und des
Willens übrig hat und die Mittel dazu besitzt, den Kulturkampf,
wenn die Kurie es nicht anders will, nötigenfalls in einem
wirksameren Style wieder aufzu- nehmen. Ob die Kurie dasselbe
Bewußtsein haben kann, wenn sie auch die Miene davon annimmt, muß be-
zweifelt werden. Im Vatikan muß man wissen, daß man das Größte auf
das Spiel setzt, wenn man das Deutsche Reich in den heutigen
Weltumständen zur Wiederaufnahme des Kampfes zwingt. So
bleibt denn, alles in allem genommen, die Wahrscheinlichkeit überwiegend,
daß die Berhandlungen nicht mit der Notwendigkeit erneuter Kämpfe enden,
sondern mit einem Ausgleich."
23—24. März. (Preußen.) Abg.-Haus: Debatte über den
von der Regierung beantragten neuen einmaligen Steuererlaß im
Betrage von ca. 6 Mill. Mark. Die Budgetkommission trägt (mit 13
gegen 7 Stimmen) auf Ablehnung des Antrags, die Konservativen
dagegen darauf an, statt des Regierungsantrags vielmehr die nach
dem vorjährigen Steuererlaß noch zur Hebung kommenden 9 Mo-
natsraten der untersten Klassensteuerstufe vom 1. April 1882 ab
außer Hebung zu setzen. Der konsfervative Antrag wird als ver-
fassungswidrig mit 163 gegen 159 Stimmen nicht zugelassen, der
Antrag der Regierung auf einen neuen einmaligen viermonatlichen
Steuererlaß angenommen und dem Beschluß einstimmig folgende
Resolution beigefügt:
„Die königliche Staatsregierung aufzu- fordern, im Sinne einer orga-
nischen Steuerreform in der nächsten Session dem Landtage eine Gesetzvor-
lage zu machen, durch welche nach Maßgabe der Mehrbelastung der einzelnen
Steuerstufen durch die indirekten Steuern eine anderweite Verteilung
der direkten Steuern herbeigeführt wird.“
Der Etat ist damit in 2. Lesung beendigt.
Für den Steuererlaß stimmen Fortschritt, Sezession, das Zentrum
mit den Polen, der größere Teil der Konservativen und der kleinere der
Freikonservativen; gegen denselben die Nationalliberalen geschlossen, der
kleinere Teil der Konservativen worunter v. Rauchhaupt und v. Hammer-
stein) und der größere der Freikonservativen.
Der Antrag der Konservativen führte zu einem merkwürdigen
Zwischenfall. Der Vorschlag. der Regierung stützte sich auf das Verwendungs-
gesetz v. 16. Juli 1880; für den Antrag der Konservativen hätte die gesetz-
liche Grundlage erst geschaffen werden müssen, da nach Art. 109 der preußi-
schen Verfassung das Abg.-Haus nicht das Recht hat, Steuern und Ab-