Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

78 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 29.) 
Chefredakteur v. Hammerstein ja selbst einer der Unterhändler war, wohl 
authentischen Bericht: „Es war schon während der zweiten Lesung in der 
Kommission (die am 6. März begonnen hatte) völlig klar, daß ein positives 
Resultat der Verhandlungen nur durch eine Koalition der Konservativen 
und des Zentrums auf dem Boden der jetzt auf Antrag der ersteren be- 
schlossenen Bestimmungen zu erreichen sein würde. Nur die eine Frage er- 
schien noch als eine offene, ob das Zentrum sich nicht doch noch bereit finden 
lassen würde, die Bestimmung des Artikels 4 der Regierungsvorlage anzu- 
nehmen, welcher in definitiver Form das Einspruchsverfahren gegen die An- 
stellung der Geistlichen abändert und in welchem die Regierung für die Re- 
gelung der Anzeigepflicht ein besonders förderliches Mittel erblickte. Man 
hoffte, daß es Hrn. v. Schlözer gelingen könne, beim Papst die Zustimmung 
zu diesen Bestimmungen zu erwirken und dadurch dieselbe auch für das 
Zentrum annehmbar zu machen. Inzwischen erwiesen sich aber die auf die 
Unterhandlungen Schlözers gesetzten Hoffnungen als hinfällig. Es unter- 
liegt keinem Zweifel mehr, daß der Papst Hrn. v. Schlözer in der vielbe- 
sprochenen Audienz rundweg erklärt hat, daß es ihm unmöglich sei, auf der 
Grundlage der diskretionären Gewalten zu verhandeln, daß er dagegen seine 
Bereitwilligkeit zu jedem möglichen Entgegenkommen zeigen werde, sobald 
Hr. v. Schlözer mit den nötigen Instruktionen versehen sein würde, um 
auf soliden Grundlagen (sur des bases solides) zu verhandeln. Man mußte 
also die Möglichkeit als ausgeschlossen betrachten, die schwierige Frage der 
Anzeigepflicht schon jetzt in irgendeiner Form zu lösen und somit auf die 
Artikel 4 und 5 der Regierungs- vorlage nunmehr definitiv verzichten. Wie 
zu erwarten, lehnte es die Staatrregierung demnächst ab, zu dem Kompro-- 
miß der beiden Parteien eine sie vinkulierende Stellung zu nehmen, und 
erklärte vielmehr, abwarten zu wollen, welche Beschlüsse das Abgeordneten- 
haus fassen würde. Die Konservativen ließen sich dadurch in ihrer Aktion 
nicht beirren.“ Nach dem Kompromiß bleiben von der Vorlage nur der 
Artikel 1 und der Bischofsparagraph aufrecht, und dazu kommt das von dem 
Zentrum und den Konservativen in der Kommission schon in erster Lesung 
hinzugefügte Verbot des sogenannten Kultureramens und der „Staatspfarrer“. 
Die Artikel 4 und 5 fallen einfach weg. Artikel 4 hielt das staatliche Ein- 
spruchsrecht aufrecht, aber in sehr gemilderter Form, und gewährte die 
Appellation dagegen an den Kultusminister, wodurch der kirchliche Gerichts- 
hof beseitigt wurde. Artikel 5 sollte der Regierung die Vollmacht geben, in 
einzelnen Gegenden widerruflich von der Anzeigepflicht zu dispensieren. Das 
ist die Maßregel, welche gegen die Polen gerichtet war, da gerade bei ihnen 
diese Vollmacht nicht gebraucht werden sollte. Da nun dieser Artikel weg- 
fiel, so stimmten die Polen für das Kompromiß. über die Tragweite 
des Kompromisses gehen die Ansichten weit auseinander. Die Konser- 
vativen behaupten, daß mit Ausnahme der zugestandenen drei Punkte (Be- 
seitigung des kirchlichen Gerichtshofes nebst der Wiedereinsetzung aller oder 
doch einiger der von ihm abgesetzten Bischofe, des sogen. Kulturexamens und 
der sogen. Staatspfarrer) die Maigesetze bestehen bleiben. Die Gegner da- 
gegen erklären, daß damit die ganze Maigesetzgebung durchlöchert werde und 
notwendig ganz dahinfallen müsse. 
29. März — 4. April. (Bayern.) II. Kammer: Beratung 
des Kultusetats. Derselbe wird fast durchgehends nach den An- 
trägen des Finanzausschusses und seines Referenten Rittler erledigt. 
Die größten Abstriche fallen auf die Lehrerbildungsanstalten, denen 
womöglich der Lebensfaden abgeschnitten werden soll.
	        
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