Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 29.) 79
Die Geneneraldebatte wird in Einem Tag erledigt. Referent
Dr. Rittler (ultram.) erklärt, daß die Majorität des Hauses die entgegen-
kommenden Erklärungen der Staatsregierung akzeptiere, aber nur in der
Hoffnung, daß weitere Schritte folgen und allmählich die im letzten Jahr-
zehnt verdrängten Grundsätze wieder zur Geltung kommen werden. Prin-
zipiell habe sich in der Stellung der Mehrheit nichts geändert. Sie führe
aber den Kampf nur, um zum Frieden zu gelangen. v. Schlör (liberal)
erwidert gegenüber der vom Vorredner betonten Forderung, das Placet auf-
zuheben: das Volk habe für solche Fragen kein Verständnis, und werde sich
allmählich mehr klar, daß in Bayern ein Kulturkampf nicht vorhanden sei
und nicht kommen werde. Weder die jenige noch eine andere Regierung
werde vom Placet abkommen, denn die Aufhebung desselben bedeute doch
nur, daß sich der Staat der Herrschaft einer einzelnen Kirchengesellschaft
unterordne. Schels (extrem-ultram.) erinnert an die vielen energischen
oppositionellen Reden der Rechten: hier sei ihr, wie noch niemals, eine Ge-
legenheit gegeben, eine Tat zu tun. Alle Klagen und Beschwerden gegen
das Ministerium Lutz bestünden fort, bezüglich der Kirchenpolitik, der Schul-
frage und der Selbständigkeit Bayerns; da müsse man die energischsten
Mittel der Opposition anwenden. Er beantrage daher 1) den ganzen Kultus-
etat zu streichen und für die klagbaren Summen einen Reservefonds zu be-
willigen: eventuell 2) einen Antrag an die Krone zu beschließen, in welchem
gebeten werde, das Kultusministerium aufzuheben und dessen Geschäfte an
die Ministerien der Justiz und des Innern zu verteilen. Kultusminister
v. Lutz bemerkt dem letzteren Redner gegenüber: er müsse zweifeln, ob der
Antrag auch nach seiner Annahme einen Erfolg haben werde; dem Re-
ferenten gegenüber äußert der Mirnister: wenn dessen Friedensbedingungen
einmal eingetreten wären, so würde Bayern den Frieden erst recht nicht
haben. Er könne für sich irgendwelche Modifikationen seiner bisherigen An-
schauungen auf kirchenstaats- rechtlichem Gebiet nicht in Aussicht stellen, aber
das sei nicht ausgeschlossen, daß auf dem tatsächlichen Gebiete eine Ver-
mittelung der verschiedenen Standpunkte gehandhabt werde. Seine Zuge-
ständnisse zielten auf einen solchen modus vivendi ab, aber er bitte nicht
zu vergessen: es wäre dann nicht möglich, wenn der Friede nur auf einer
Seite gehandhabt, auf der andern aber der Krieg fortgeführt werde. Re-
ferent Dr. Rittler drückt im Schlußwort sein Erstaunen über den Vor-
wurf aus, daß er die Art an den paritätischen Staat legen wolle; er führe
gegen die Protestanten keinen Kampf. Der Antrag Schels auf Aufhebung
des Kultusministeriums sei keine Tat, weil heute schon mit absoluter Ge-
wißheit feststehe, daß der Antrag nicht zum Ziele führe. Schels möge den
Antrag lieber zurückziehen. Gegen den Abg. Strauß bezeichnet er den Alt-
katholizismus als einen überwundenen Standpunkt, und entgegnet dem Mi-
nister, daß die Regierung alle Ursache habe, mit der großen Mehrheit der
Bevölkerung in Frieden zu leben. Die Regierung werde auch noch gegen-
über den Bestrebungen des Liberalismus Stellung nehmen müssen. Es tue
wohl, daß man in Berlin einzusetzen gelernt habe, daß mit dem Liberalis-
mus auf die Dauer nicht zu hausen sei. Wenn die Regierung das einsehe,
dann sei es leicht, sich über einen modus vivendi zu verständigen. In der
Spegzialdebatte wird zunächst Kap. 1 des Etats, allgemeiner Ministerial-
etat, mit 144 gegen 8 Stimmen angenommen und damit der (verfassungs-
widrige) Antrag Schels, den übrigens selbst die Ultramontanen als einen
bloßen Schlag ins Wasser bezeichnen, beseitigt. Bei der Universität München
wird allen Anträgen des Referenten zugestimmt und damit auch eine neue
katholische Professur für Philosophie beschlossen. Bei der Universität Würz-
burg wird der geforderte Zuschuß von 20.000 Mark zu ihrer bevorstehenden