86 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 22—24.)
und auch aus den Kreisen des Bürgertums selbst wiederholt in Anregung
gebracht worden ist.
22. April. (Deutsches Reich.) Bundesrat: der Reichs-
kanzler läßt demselben nunmehr auch den vervollständigten Unfall-
Gesetzentwurf mit Motiven und einer Denkschrift über die Gefahren-
klassen zugehen.
Zu den Entschädigungen gewährt das Reich 25 Prozent, die Gesamt-
heit der Unternehmer der bestimmten Gefahrklasse, welcher der vom Unfall
Betroffene angehört, soll davon 60 Prozent, die Betriebsgenossenschaft oder
der Betriebsverband, welchem der Beschädigte angehört, 15 Prozent zahlen.
Die Karrenzzeit beträgt 14 Wochen. Die Entschädigung ist für die Dauer
völliger Erwerbsunfähigkeit 66 2/3 Prozent des Arbeitsverdienstes, und bei
teilweiser Erwerbsunfähigkeit ein Bruchteil davon, der jedoch nicht über
50 Prozent des Arbeitsverdienstes betragen darf. Ferner wird gewährt im
Falle der Tötung Beerdigungskosten und für die Hinterbliebenen vom
Todestage an eine Rente für die Wittwe von 20, für jedes Kind bis zum
15. Lebensjahre 10, und wenn es mutterlos ist oder wird, 15 Prozent des
Arbeitsverdienstes; doch dürfen die Renten zusammen 50 Prozent des letz-
teren nicht übersteigen. Ascendenten des Verstorbenen erhalten, wenn dieser
ihr einziger Ernährer war, bis zu ihrem Tode oder bis zum Wegfall der
Bedürftigkeit 20 Prozent des Arbeitsverdienstes. Die neue Fassung der
Vorlage beweist nicht gerade, daß der Kanzler großen Wert auf das Gut-
achten des Volkswirtschaftsrates legt. Dieser hatte beantragt, auch die Ar-
beiter in land- und forstwirtschaftlichen Vetrieben unter das Gesetz zu stellen;
der Kanzler hat den Antrag abgelehnt. Die Mehrheit des Volkswirtschafts-
rats hielt einen Reichsbeitrag von einem Drittel der Entschädigung für das
Minimum; der Reichskanzler will nur ein Viertel geben und verlängert, die
Zeit, während welcher die verunglückten Arbeiter den Krankenkassen zur Last
fallen, noch um eine Woche, also auf 14 Wochen nach dem Unfall.
23. April. (Deutsches Reich.) Dem Wunsche des Sultans
entsprechend, erhalten der Kommandeur des 2. schlesischen Husaren-
regiments Oberst v. Kähler und noch je ein Offizier der Infanterie,
Kavallerie und Artillerie Urlaub, um bei der Reorganisation der
türkischen Armee behilflich zu sein. Der Rücktritt in die preußische
Armee ist denselben offen gehalten.
24. April. (Deutsches Reich.) Bundesrat: genehmigt die
Vorlage des Reichskanzlers beg. Einführung des Tabakmonopols
mit 36 gegen 22 Stimmen wesentlich unverändert, und lehnt die
Modifikationsanträge der Ausschüsse bez. einer Erhöhung der Ent-
schädigungen sowie zu Gunsten einer erweiterten Kompetenz des
Bundesrats bzw. der Einzelstaaten gegenüber der Zentralgewalt ab.
Gegen das Monopol stimmen Bayern, Sachsen, Baden, Hessen, Olden-
burg, Reuß j. L. und die Hansestädte. Diese Staaten geben zugleich un-
umwundene Erklärungen ab. Bayern erklärt: „daß seine Regierung mit dem
Gedanken einer weiteren Entwickelung des Systems der indirekten Besteuerung
im Reiche und insbesondere auch mit einer stärkeren Heranziehung des Ta-
baks vollkommen einverstanden sei, sich aber durch die zur Zeit vorliegenden