Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 24.) 87
Anhaltspunkte nicht überzeugen könne, daß das Monopol zu dem gewünschten
finanziellen Ergebnis führen werde. Sie glaube deshalb, dermalen einer
Steuerreform, durch welche sich höhere Erträgnisse aus dem Tabak ohne
tiefgreifende vollswirtschaftliche Rückwirkungen erzielen lassen, den Vorzug
geben zu sollen.“ Sachsen stimmt „in Hinblick auf die schweren volkswirt-
schaftlichen und sozialen Bedenken dagegen“. Baden, Hessen, Oldenburg
und Reuß j. L. betonen hauptsächlich die Schädigung der ausgebreiteten
Tabakindustrie in diesen Staaten durch Einführung des Monopols. Bremen
läßt ausdrücklich erklären, „daß die Einführung des Reichstabakmonopols
notwendigerweise den wirkschaftlichen und finanziellen Ruin des Bundesstaats
Bremen herbeiführen werde. Es sei allgemein bekannt, daß die Bedeutung
Bremens als Handels- und Seestadt mit dem daselbst konzentrierten groß-
artigen Tabakgeschäft so eng und unauflöslich verknüpft sei, daß die Zer-
störung dieses wesentlich auf der Versorgung Deutschlands beruhenden, mit
dem Bestehen eines Reichsmonopols unvereinbaren Geschäftszweiges die Exi-
stenzgrundlagen des gesamten bremischen Handels in verhängnisvoller Weise
erschüttern müßte.“ Der Senat bitte daher, diesem Momente das gebührende
Gewicht beizulegen. Württemberg, Weimar und Braunschweig erklären da-
gegen, daß die Finanzlage des Reiches und der Einzelstaaten dringend die
Vermehrung der Einnahmen forderten und das Tabakmonopol der geeignetste
Weg dazu sei.
Der Reichskanzler scheint inzwischen noch keineswegs darauf ver-
zichtet zu haben, das Monopol im Reichstag doch noch, wenn auch nicht
sofort, vielleicht nach einiger Zeit durchzubringen und zwar hauptsächlich
mit Hilfe der Regierungen. Eine offiziöse Beleuchtung in der „Polit. Korr.“
spricht sich darüber folgendermaßen aus: „Ist es denn so gewiß, wie alle
Welt glaubt, daß der jetzige Reichstag das Monopol ablehnt? Das Zentrum
hat sich parlamentarisch gegen das Monopol nicht verpflichtet, sondern nur
die klerikale Presse hat sich beinahe einstimmig dagegen ausgesprochen. Aber
die parlamentarische Fraktion kann nicht durch die Presse verpflichtet wer-
den, um so weniger, als keines der klerikalen Blätter die Rolle des offi-
ziellen Organes der Partei weder beansprucht, noch zugeteilt erhalten hat.
Die Annahme, daß das Zentrum das Monopol verwerfen müsse, stützt sich
auf den Grund, daß dasselbe eine eminent reichsbefestigende Maßregel ist.
Das Zentrum zählt aber in seinen Reihen gewiß einen, wenn nicht mehrere
politische Köpfe, welche folgendes zu begreifen im stande sind: Falls durch
Vermehrung der Reichseinnahmen eine Entlastung der Einzelstaaten nicht zu
stande kommt, falls die Einzelstaaten fortfahren müssen, mit ihrer geson-
derten, keiner Steigerung mehr sätzigen Finanzwirtschaft neben der Last ihres
eigenen Haushaltes die zunehmende Last der Reichsausgaben zu tragen, so
wird schon nach einigen Jahren die Existenz der meisten Einzelstaaten mit
Ausnahme Preußens, eine höchst gefährdete sein. Denn es ist das wohl-
tätige Gesetz, welches im Laufe der deutschen Dinge jetzt zum Durchbruch
gelangt ist und denselben beherrscht, daß alle Wege zur Stärkung der Ein-
heit dienen müssen. Die Erhöhung der Reichseinnahmen erleichtert die Exi-
stenz der Einzelstaaten, aber macht sie auch abhängig vom Reiche, welches
in sich selbständig und fest wird. Die Überlastung der Einzelstaaten durch
ungenügende Entwicklung der Reichsfinanzen läßt zunächst das Reich schwach,
befördert aber in schnellem Tempo die Ungleichheit zwischen Preußen und
den übrigen Bundesstaaten in Bezug auf die innere Haltbarkeit. Es ist
also doch die Frage, ob die weitblickendsten unter den Zentrumsführern nicht
den indirekten Weg zur Erweiterung der Einheit, welcher in der Trocken-
legung der Reichsfinanzen besteht, als den gefährlicheren erkennen und sich
deshalb entschließen, den, wenn auch unwillkommenen, so doch bei weitem