Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 27.) 91 
den Auftrag zu erteilen geruht, die Sitzungen des Reichstages zu eröffnen. — 
Die gesetzgeberischen Aufgaben, für welche Ihre Tätigkeit in Anspruch ge- 
nommen wird, sind Ihnen bereits durch die allerhöchste Botschaft vom 
17. November v. J. an das Herz gelegt worden. Die Reichsgesetzgebung 
hat die Bestrebungen zur Abhilfe sozialer Schäden, welche die kaiserliche 
Botschaft in Aussicht nimmt, mit dem Gesetzentwurfe über Versicherung 
der Arbeiter gegen Unfälle begonnen. Aus den vorjährigen Be- 
ratungen des Reichstages über diesen Gegenstand haben die verbündeten 
Regierungen den Anlaß genommen, ihre frühere Vorlage einer Umgestaltung 
zu unterziehen. Die gegen die früher in  Ansicht genommene Reichsver- 
sicherungsanstalt erhobenen Bedenken haben dabei insoferne Berücksichtigung 
gesunden, als die Unfallversicherung der Arbeiter nunmehr auf eine korpo- 
rative und genossenschaftliche Organisation der in Betracht kommenden in- 
dustriellen Betriebe gegründet werden soll. Der Gesetzentwurf gewährt den 
industriellen Verbänden und Genossenschaften eine auf die Verhütung von 
Betriebsunfällen gerichtete Autonomie. Er geht von dem Bestreben aus, 
die verwaltende Tätigkeit tunlichst zu lokalisieren, die finan- zielle Belastung 
dagegen auf möglichst breite Unterlagen zu verteilen. Eine notwendige Er- 
gänzung finden die Ihnen auf diesem Gebiete vorzulegenden Maßnahmen 
in einer anderweitigen Regelung der jetzt bestehenden Hilfskassengesetzgebung 
und in der beabsichtigen Ausdehnung der  Krankenversicherung. An 
Stelle des bisherigen bedingten wird Ihnen die Einführung eines unbe- 
dingten Zwanges zur Versicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen von 
Krankheitsfällen für alle Arbeiter vorgeschlagen werden, für welche die 
Durchführung dieser Maßregel möglich erscheint. — Seit Jahren ist in allen 
Teilen des Reiches mit steigender Dringlichkeit das Bedürfnis nach einer 
Revision der über den Gewerbebetrieb im Umherziehen geltenden 
Vorschriften der Gewerbeordnung hervorgetreten. Die verbündeten Regie- 
rungen haben beschlossen, Ihnen einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch wel- 
chen die Gewerbeordnung in dem Sinne abgeändert wird, daß den mit dem 
Gewerbebetriebe im Umherziehen auf dem Gebiete der öffentlichen Sicherheit, 
Ordnung und Sittlichkeit verknüpften Gefahren wirksamer als bisher be- 
gegnet werden kann. — Auf dem Gebiete der Steuerreform hat die a. h. 
Botschaft vom 17. Novbr. v. J. die Abschaffung drückender direkter 
Landessteuern und der Zuschläge in Aussicht genommen, durch welche 
Gemeinden und andere Kommunalverbände bisher genötigt sind, den harten 
und ungleich wirkenden Druck dieser Steuern zu verstärken. Diese wohlmei- 
nende Absicht zu verwirklichen, kann nur dadurch ermöglicht werden, daß 
das Reich sich in die Lage bringt, auf Matrikularbeiträge zu verzichten 
oder die bisher dazu erforderlichen und eventuell auch höhere Beträge den 
einzelnen Staaten herauszuzahlen, damit sie zur Verminderung der Landes- 
und Kommunalsteuern verfügbar werden. Wenn ein Bedürfnis hiezu bei 
den Einzelstaaten und ihren Kommunalverbänden nicht empfunden würde, 
so läge auch kein Anlaß vor, eine Erhöhung der indirekten Reichs- 
einnahmen zu erstreben; ist ein solches Bedürfnis aber vorhanden, so kann 
es nur durch größere Ergibigkeit der indirekten Einnahmequellen des Reiches 
befriedigt werden. Die verbündeten Regierungen sind von dem Vorhanden- 
sein des Bedürfnisses überzeugt und beantragen Erhöhung der Reichsein- 
nahmen, um ihren Unterthanen Steuererleichterungen gewähren zu können. 
— Unter den zur Besteuerung durch das Reich geeigneten Gegenständen steht 
der Tabak in erster Linie. Nicht hierüber, sondern nur über die Form, 
in welcher eine höhere Besteuerung dieses Genußmittels herbeizuführen sei, 
gehen die Meinungen im Reiche auseinander, und wird eine Entscheidung 
durch die Gesetzgebung herbeizuführen sein. Die Mehrheit der verbündeten
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.