102 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 11.)
des Staatssekretärs Scholz und die von Hobrecht (nat.-lib.), von
Windthorst (ultram.), v. Stauffenberg (Soz.), v. Vollmar (Soz.-Dem.)
und Richter (Fortschr.); die inhaltreichste ist die von Stauffenberg,
die sensationellste die durchaus gentlemanisch gehaltene Jungfern-
rede v. Vollmar's. Die Vorlage wird schließlich auf den Antrag Aus-
felds mit 161 gegen 131 Stimmen an eine Kommission von 28 Mit-
gliedern gewiesen. Dagegen stimmen nur Fortschritt, Sezession und
die Hälfte der National-Liberalen. Trotzdem ist nach der Rede
Windthorsts die Verwerfung mit größter Mehrheit außer allem
Zweifel und es fragt sich nur, ob dieselbe wie 5: 1 oder wie 4: 1
ausfallen werde.
11. Mai. (Deutsches Reich.) Der Zentralverband deutscher
Industrieller (Schutzzöllner) bringt bei der Reichsregierung die Frage
der systematischen Einführung von Zollrückvergütungen für den Ex-
port in Anregung.
Der Zentralverband macht geltend, daß durch Annahme des neuen
Zollsystems für den heimischen Markt der Boden geebnet sei, und wenn auch
innerhalb der kurzen Frist der Geltung des Tarifs von 1879 die Wirkung
noch nicht in vollem Maß eingetreten sei, so könne doch die deutsche In-
dustrie mit dem Gebotenen sich weiter kräftigen. Nun müsse man daran
gehen, auch den deutschen Export zu unterstützen, und das sei nur dadurch
zu erreichen, daß man Zollrestitutionen für denselben gewähre, zumal der
Exporthandel durch einzelne der eingeführten Zölle nicht unwesentlich be-
rührt worden sei. Die Reichsregierung nimmt jedoch mit Rücksicht auf die
Zollintraden Anstand, auf den gemachten Vorschlag einzugehen.
11. Mai. (Preußen.) Abg.-Haus: stimmt nunmehr dem
Beschlusse des Herrenhauses, also der Vorlage der Regierung bez.
des Lauenburgischen Kommunalverbandes mit 139 gegen 72 St.
doch bei. Das Haus ist also beschlußunfähig und die Abstimmung
ungiltig.
Schluß der Session des Landtags durch den Minister von
Puttkamer.
Der Minister deutet die Unzufriedenheit der Regierung mit dem
Abg.-Hause sehr verständlich an, und daß sie sich mit diesem nicht mehr ver-
ständigen könne. Der Schluß lautet: „Nachdem insbesondere der Gesetz-
entwurf über die Verwendung der aus der Reichssteuerreform an Preußen
zu überweisenden Geldsummen nicht so eingehende Beratung gefunden hat,
wie zur allseitigen Klarstellung des durch den Gesetzentwurf verfolgten Ziels
von der Regierung gewünscht werden mußte, konnte die Regierung von der
ferneren Beratung der übrigen Vorlagen sich einen Erfolg nicht mehr ver-
sprechen. Bei dieser Sachlage glaubt die Regierung, den Schluß der Session
nicht mehr weiter hinausschieben zu sollen. Demgemäß beehre ich mich,
beiden Häusern des Landtags in Folge Auftrags Sr. Maj. des Königs die
allerhöchste Botschaft mitzuteilen.“ In der Tat sind die weitere Verstaat-
lichung von Eisenbahnen und das neue kirchenpolitische Gesetz die einzigen
bedeutenden Ergebnisse der ganzen Session.