Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 12.—15.) 113 
Sie haben dann ihrerseits kein Bedürfnis mehr und haben noch weniger 
Neigung als heute, die Regierung in ihren Reformbestrebungen zu unter- 
stützen. Die Regierung aber hält an dem Prinzip fest: „gleiche Gerechtig- 
keit für Alle“ und ist entschlossen, Privilegien in dieser Beziehung nicht zu 
geben. Daß die großen Städte ihrerseits, weil sie in noch höherem Maße 
als die Kreise und Landgemeinden eigentliche Staatslasten übernommen haben, 
bei einer Verteilung und bei einer Zuwendung von Erträgen indirekter 
Steuern, die wir vom Reich erstreben, stärker bedacht werden müssen. als die 
gleiche Kopfanzahl der sonstigen Bevöllerung, daß sie mit dem, was für sie 
in Aussicht genommen ist, Zuweisung der halben Gebäude- und Grundsteuer, 
nicht auskommen, ist ganz klar; es ist aber dann Sache der Prüfung und 
Bewilligung in den Verhandlungen des Landtags, wie der Hauptsache nach 
die Verteilung von Mitteln, sobald wir deren haben, stattfinden soll. Wir 
sind nicht bereit, einzelnen Klassen unserer Mitbürger vor Anderen ein Pri- 
vilegium zu geben, sondern die Erleichterung gleichmäßig zu schaffen für 
Alle. Die Kreise find in derselben Lage und bei ihnen ist die Ungerechtig- 
keit des Zuschlages zu der Steuer, die ohne Rücksicht auf die Verschuldung 
der besteuerten Einnahmegquelle auferlegt ist, allerdings in höherem Maße 
auf die Grundsteuer anwendbar, wie sie es auf die Häusersteuer ist. 
Nun sind die Herren in den großen Städten gewöhnlich der Meinung. daß 
die Grundsteuer hauptsächlich den reichen Grundbesitzer treffe, der ihnen un- 
angenehm auffällt, wenn er selbstzufrieden und wohlgenährt in die Stadt 
kommt, sich bei Borchardt oder sonstwo sehen läßt. Das ist aber entfernt 
nicht der Fall, und aus jedem statistischen Buche können Sie sich dahin be- 
lehren, daß die Gesamtheit der Gutsbesitzer, die noch lange nicht lauter 
reiche Leute sind, sondern vielfach arme, da auch dem kleinsten Besitze an- 
gehörige Zensiten zu den Gutsbezirken gehören, von den 42 Millionen 
Grundsteuer, die im ganzen bezahlt werden, nur 8 Millionen tragen, 28 
Millionen auf den Kleinbesitz, auf die Landgemeinden fallen, und der Über- 
rest auf die Städte. Wenn Sie also geneigt sind, über den Gutsbesitzer 
eine gewisse Ungerechtigkeit zu verhängen, weil er Ihrer Meinung nach eine 
üble Persönlichkeit ist, - so treffen Sie mit demselben Schlag, mit dem 
Sie einen Gutsbesitzer treffen, immer wahrscheinlich fünf arme Leute. Die 
Kreise, wie Sie aus den statistischen Listen ersehen, sind fast alle verschuldet 
und meist mit starken Kreisbudgets belastet. Auch diesen hat Se. Maj. 
der König von Preußen das Bedürfnis zu helfen, und Er steht hilfesuchend 
vor der Pforte des Reichstags und klopft an, ob Sie Ihm beistehen wollen, 
seine preußischen Unterthanen aus den ungerecht und drückend veranlagten 
Steuern zu befreien. — Ein dritter Punkt ist die Schule, deren Belastung 
auch in der Regel nicht nach ihrem vollen Werte gekannt wird. Aus den 
sehr lehrreichen Motiven, die der preußische Landtag nicht Zeit hatte zu ver- 
lesen und zu beraten, geht unter Anderem hervor, daß die Schullasten in 
ihrer Gesamtheit für Personal- und Realausgaben zwischen 94 und 95 Mil- 
lionen betragen, und daß sie die Belastung des Staates durch die Klassen- 
steuer mehr als doppelt übersteigen, indem in Preußen auf den Kopf 3,59 Mark 
an Schullasten kommen und wahrscheinlich auch in demselben Bruchteil von 
Exekutionen, namentlich für diejenigen Lasten, die unter dem Namen von 
Schulgeld exigibel sind, von den ärmsten Mitgliedern der Gemeinde, und 
immer in erhöhterem Maße von kinderreichen Familien als von kinderlosen 
oder einkinderigen, und wie es dabei für die Stellung des Lehrers eine be- 
trübende Beziehung gibt, daß der Lehrer, der in Bezug auf Kleidung und 
Lebensstand doch gegenüber dem barfüßigen Schuljungen eine höhere Lebens- 
stufe einnimmt, die Mutter durch die Kinder mahnen lassen muß wegen 
weniger Groschen Schulgeld. Schon im Interesse der Lehrer haben wir in 
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XXIII. Bd. 8
	        
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