Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 12—15.) 121 
Furcht vor der öffentlichen Meinung, bei der byzantinischen Dienerei der 
Popularität, wie sie bei uns eingerissen, ausgesetzt ist. — Meine Herren, 
ich werde nicht oft mehr zu Ihnen sprechen können, ich bin matt, ich habe 
keine Lust und keine Kraft dazu und auch kein Interesse, aber ich möchte 
nicht von der Bühne abtreten, ohne Ihnen dies ans Herz zu legen: seien 
Sie einig und lassen Sie den nationalen Gedanken vor Europa leuchten; 
er ist augenblicklich in der Verfinsterung begriffen!“ 
Rede des Abg. v. Bennigsen vom 15. Juni, der darauf anträgt, 
den ersten Teil der von der Kommission vorgeschlagenen Resolution, der eine 
weitere Belästigung und Beunruhigung der Tabakindustrie vorerst für un- 
statthaft erklärt, mit möglichst großer Majorität zu genehmigen, dagegen die 
dieser Forderung beigefügte Motivierung, die der ganzen Steuerreform des 
Reichskanzlers überhaupt den Riegel stoßen sollte, abzulehnen. Nachdem er 
dies begründet, fährt er (nach den stenogr. Verhandlungen) fort: „Diese 
Fragen sind gar nicht außer Zusammenhang zu entscheiden mit allen den- 
jenigen Erörterungen, die uns diese Tage, ich möchte sagen, mehr beschäftigt 
haben, als die Frage des Tabakmonopols, als selbst die Frage der Tabak- 
besteuerung überhaupt. Was hat denn den Hauptgegenstand der ganzen Er- 
örterungen dieser Tage gebildet? Die Frage, ob in den Einzelstaaten und 
vorzugsweise in Preußen das direkte Steuersystem so mangelhaft und so 
reformbedürftig ist, sei es hinsichtlich der Staatssteuern, oder hinsichtlich der 
Kommunalsteuern wegen der Zuschläge zu den Staatssteuern, daß man nicht 
bloß die reformierende Hand an das Steuersystem der einzelnen Staaten, 
namentlich Preußens legen muß, sondern daß allein mit großen und über- 
großen Summen, die mehr aus dem Reiche abgeliefert werden an die Einzel- 
staaten, es möglich sei, solche Reformbedürfnisse zu befriedigen. Nun, meine 
Herren, es ist ganz richtig, und insofern kann man die Ausführung von 
Vertretern der Regierung gar nicht zurückweisen, daß unser Steuersystem im 
Reiche und in den Einzelstaaten dadurch ungemein kompliziert ist, daß die 
indirekten Einnahmen an das Reich fließen und nur die direkten an die 
Einzelstaaten, während ein sehr großer Teil der Ausgaben der Einzelstaaten 
geblieben ist und bleiben wird. Es kann also mit Recht die Frage entstehen, 
ob die Mittel, welche die Einzelstaaten in ihren direkten Steuern haben, 
für Befriedigung ihrer Bedürfnisse ausreichen, oder ob sie auf das Reich 
angewiesen sind, ob von dort aus durch eine Erhöhung indirekter Steuern 
ihnen erhebliche Mittel zugeführt werden müssen. Dies ist eine Frage, die 
allerdings auch das Reich als Ganzes im Interesse seiner einzelnen Teile 
angeht. In erster Linie ist das Reich für sich betrachtet nur dabei interessiert, 
daß für die Ausgaben, die ihm zufallen, für die Bedürfnisse, für die das 
Reich zu sorgen hat, ihm in seinen Hilfsquellen die nötigen Mittel gewährt 
werden. Insofern werden auch die Vertreter der Regierung anerkennen, daß 
durch dasjenige, was 1879 und 1880 an erhöhten Bewilligungen, an Zöllen 
und Steuern geschehen ist, hierfür ausreichend gesorgt ist, namentlich wenn 
man das Steigen für die nächsten Jahre, was ganz zweifellos ist, mit be- 
rücksichtigt. Es ist ja bekanntlich 1879 eine Komplikation eingetreten in der 
Art und Weise, wie vermehrte Reichseinnahmen verrechnet und verwendet 
worden; aber so viel steht doch fest, daß, wenn man die Matrikularbeiträge 
auf der einen Seite mit den Zuwendungen an die Einzelstaaten auf der 
anderen Seite vergleicht, man jetzt schon sagen kann, daß die Matrikular- 
beiträge im engeren Sinne, wie sie alle deutschen Staaten bezahlen müssen, 
schon jezt wieder ersetzt werden durch dasjenige, was vom Reich den Einzel- 
staaten zufließt, und auch beinahe ersetzt wird, was an Matrikularbeiträgen 
ausnahmsweise die Staaten, namentlich Süddeutschlands, zu leisten haben, 
welche nicht vollständig der allgemeinen Steuergemeinschaft angehören. Ich
	        
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