Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

124 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 12—15.) 
durch die Güte eines Freundes in der Provinz damals mitgeteilt worden; 
— es ist übrigens gar keine Schwierigkeit gewesen für jemanden, der sich 
dafür interessierte, diesen Entwurf zu bekommen; ich glaube sogar, man 
würde ihn erhalten haben, wenn man sich direkt als Abgeordneter, als Mit- 
glied der Finanzkommission, an die Regierung gewendet hätte. Geheim sind 
Entwürfe, die an viele Dutzende von Behörden und angesehene Kommunal- 
beamten gesendet werden, nicht zu halten. Nun, m. H.H, — und das bitte 
ich einmal einen Angenblick festzuhalten, — ist es ganz charakteristisch an 
diesem damaligen Reformplan des direkten Steuerwesens in Preußen, daß 
er sich fest auf den Boden stellt der Gesamterträgnisse der Einkommen- und 
Klassensteuer, daß es ihm gar nicht einfiel, davon auszugehen, daß das ab- 
solute Ergebnis dieser Einkommen- und Klassensteuer in Preußen so drückend 
sei, daß man an demselben erhebliche Abminderungen müsse eintreten lassen. 
Nein, diese Entwürfe sind davon ausgegangen: das, was diese Steuern über- 
haupt im ganzen eintragen, das drückt die Menschen nicht für den Staat. 
— ich will hierbei absehen von den kommunalen Steuerzuschlägen, — aber 
in sich sind manche Bestimmungen dieser Steuern veraltet und ungleich trifft 
die Steuer die einzelnen Klassen der Bevölkerung, ungleich trifft sie die 
Wohlhabenderen, die sich in miltleren Lebensstellungen befindenden und die 
unteren Klassen. Daran ist also zu bessern; man muß eine bessere Form 
der Veranschlagung herbeiführen, man muß einen Unterschied machen — 
war die Absicht dieses Entwurfs — zwischen dem, was der Einzuschätzende 
in dem einzelnen Jahre erwirbt, einerlei aus welcher Tätigkeit, und dem, 
was er aus ererbtem oder früher erworbenem Vermögen an Zinsen oder 
Renten einzunehmen hat. Endlich aber muß man vor allen Dingen unter- 
scheiden, ob die Art der Skala eine richtige ist, die Gleichmäßigkeit der Sätze 
nicht zu weit geht, ob nicht die mittleren und unteren Klassen bedeutend 
erleichtert werden müssen gegenüber denjenigen, welche sich in einer besseren 
Lebensposition befinden. Also der Grundgedanke des vorhandenen Steuer- 
systems wurde beibehalten, das finanzielle Gesamtergebnis sollte gar nicht 
alteriert werden; man wollte eine Reform in sich, die nichts opferte an der 
Schlußsumme der Staats- einnahmen, und die doch, wo eine Not oder eine 
Härte hervorgetreten war, die reformierende und helfende Hand anlegte. — 
M. H.H., in derselben Zeit fast oder wenige Monate später, wo ein solcher 
Gesetzentwurf die Provinzialbehörden beschäftigte, wurde uns ein zweites 
Verwendungsgesetz vorgelegt im Jahre 1881, in Fortsetzung des von mir 
vorhin erwähnten Verwendungsgesetzes vom 16. Juli 1880, und es ist doch 
in hohem Grade auffallend, wenn schon dieses zweite Verwendungsgesetz in 
seinem Inhalt und in seinen Zwecken in Übereinstimmung gar nicht zu 
bringen ist mit denjenigen Plänen, welche gleichzeitig der Finanzminister, 
der dieses Verwendungsgesetz unterzeichnet hat, verfolgte, mit den Reform- 
gesetzentwürfen, die er den Provinzialbehörden in Preußen zur Begutachtung 
vorlegte. Dieses Verwendungsgesetz von damals wollte nicht den ganzen 
Betrag der Steuern beibehalten für die Staatskasse, — es wollte die unteren 
4 Klassen der Klassensteuer ganz außer Hebung setzen, es wollte die übrige 
Klassensteuer den Kreis- oder Kommunalverbänden überweisen; es verfolgte 
daneben noch denselben Zweck, der schon in dem Gesetze vom 16. Juni 1880 
in Aussicht genommen war, eventuell die halbe Grund- und Gebäudesteuer 
an die Kreis- resp. Kommunalverbände zu überweisen. — Also ein ganz 
anderer Plan, als derjenige, der gleichzeitig von den Provinzialbehörden 
erörtert und begutachtet werden sollte. Dieses Verwendungsgesetz ist damals 
im preußischen Landtage einer Kommission überwiesen worden, man hat es 
nicht lediglich im Plenum abgelehnt, und was war das Ergebnis der Ver- 
handlungen in dieser Kommission — ich bin selbst Mitglied derselben ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.