Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 12—15.) 129 
diese ungemein große Summe verzettelt. Einen erheblichen Erfolg, eine 
drastische Wirkung hatte diese Maßregel nicht. Es ist eine schablonen- 
mäßige, mechanische Erleichterung nach Monatssimpeln für die Klassensteuer 
und die 5 untersten Stufen der Einkommensteuer bis hinauf zu 6.000 Mark. 
Es darf niemand sagen, daß das eine große Reformmaßregel ist, die gleich- 
mäßig wirkt, die eine anerkannt große Erleichterung schafft. — Also eine 
wichtige Reform, die man mit denselben Mitteln haben konnte, ist unter- 
lassen worden, — und nun wirft man dem Landtage vor, daß er die Schuld 
daran trägt, daß auf diesem Gebiet noch nicht das genügende geschehen sei 
zur Erleichterung der äußersten Notstände! M. H.H., ich will mal an- 
nehmen, daß die Regierung und es soll mich freuen, wenn ich heute dazu 
beigetragen hätte; ich will mich persönlich dafür engagieren, obwohl es 
immer bedenklich ist, schon für die Zukunft seine Zustimmung zu geben, 
daß, wenn ein solcher Vorschlag gemacht wird, man denselben auch vertreten 
werde —, daß die Regierung mit dem Landtage diese 4 untersten Stufen 
der Klassensteuer erlassen hat; dann bleiben die oberen Stufen der Klassen- 
steuer und der Einkommensteuer übrig, und da soll das ein so verwerfliches 
System sein, was nirgends in der gebildeten Welt vorkommt, ein Rest von 
Barbarei in Preußen? M. H.H., die Klassensteuer datiert aus den Zeiten 
der besten preußischen Traditionen, in denen nach den schweren Sorgen und 
den tiefen Wunden, welche die langjährigen französischen Kriege dem Wohl- 
stande des Landes geschlagen hatten, der König Friedrich Wilhelm III., der 
Fürst-Kanzler Hardenberg und alle die anderen angesehenen, mit den Fi- 
nanzen vertrauten, Männer in den Jahren 1818 bis 1822 an die Aufgabe 
gingen, ein richtiges Finanzsystem für Preußen herzustellen. Aus diesen 
Jahren und mit dem besten Namen der preußischen Finanzggeschichte, mit der 
Unterschrift des Fürsten Hardenberg aus dem Jahre 1820, datiert das 
Klassensteuergesetz, datiert die Umgestaltung des Finanzwesens, wo das In- 
einandergreifen der Zolle, direkten Steuern und indirekten Steuern die sichere 
Basis liefern sollte für die Ordnung des preußischen Finanzwesens. Bis 
in die neueste Zeit, vor der neuesten Zeit hat es keinen preußischen Finanz- 
mann, keinen preußischen Staatsmann gegeben, der es für ausführbar ge- 
halten hat, aus diesem Ineinandergreifen der drei Quellen, dieser Grundlage 
von Zöllen, direkten und indirekten Steuern, einen einzigen Faktor heraus- 
zugreifen, ihn im wesentlichen ganz zu beseitigen und die Last aus die 
übrigen beiden Faktoren allein zu schieben. Wenn jetzt vom Reichskanzler 
der Plan aufgestellt wird, die Klassensteuer vollständig zu beseitigen, auch 
noch die Einkommensteuer bis zu 2.000 Thaler abzuschaffen und selbst bis 
zu 3.000 Thaler nur einen Teil der von diesem Einkommen bis jetzt zu 
zahlenden Steuern fort zu erheben, so tut man das nicht in Überein- 
stimmung mit der Finanzgeschichte Preußens und nicht in Übereinstimmung 
auch mit der gleichartigen Finanzgeschichte oder mit der gleichartigen Ord- 
nung der Finanzen in anderen europäischen Kulturstaaten. Wie ist es in 
England? England wird man wohl für einen der hochentwickeltsten Kultur- 
staaten gelten lassen müssen. In England hat sich das Finanzwesen von 
Alters her einer vorzüglichen Ordnung erfreut; auf dieses Land sind wir 
immer verwiesen, wenn es sich darum handelt, die indirekte Steuerquelle 
stärker heranzuziehen und die direkte Steuerquelle zu schonen. Wie ist es 
in England: Im wesentlichen auf der Grundlage der Gesetzgebung der 
Peelschen Zeit in den vierziger Jahren hat man noch heute dort eine in- 
come-tax. welche in diesem Augenblick rund den achten Teil des ganzen 
Ordinariums der Einnahmen Englands aufbringt, mit 11 Mill. Pfund — 
das sind 220 Mill. Mark. Das bringt also die Einkommensteuer, die direkte 
Personalsteuer dort auf, welche im wesentlichen beruht auf der Einschätzung 
Schulthess. Europ. Geschichtskalender. XXIII. Bd. 9
	        
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