Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Aug. 9.) 151 
meint er: Er habe den Kulturkampf als ein Naturereignis betrachtet, 
welches infolge der gewaltigen Beräuderungen Deutschlands und des Papst- 
tums eingetreten sein. Gegen die frühere Taktik des Zentrums seien die 
schärfsten Maßregeln geboten gewesen, jetzt aber ständen wir einem versöhn- 
lichen Papste gegenüber. Daß ein großer Teil der katholischen Bevölkerung 
endlich der Verwilderung entgegen gehe, könne wohl der italienischen Prä- 
latur, nicht aber unserer Regierung gleichgültig sein. Übrigens sei auch 
zuzugeben, daß die Maigesetzgebung eine Menge Fehler enthalte. Eine Fort- 
setzung des Kulturkampfes würde unter diesen Umständen nur der Fort- 
schrittspartei zu gute kommen, die ja bereits ihren Pakt mit dem Zentrum 
abgeschlossen habe. 
9. August. (Deutsches Reich.) Der Kaiser kommt, wie 
alljährlich, nach vollendeter Badekur in Gastein mit dem Kaiser 
von Österreich-Ungarn in Ischl zusammen. 
9. August. (Preußen.) In Elberfeld spricht sich auch die 
nationalliberale Partei für ein Zusammengehn mit der Fortschritts- 
partei bei den Wahlen im dortigen Wahlkreis aus, nachdem sich 
der vorgeschlagene fortschrittliche Kandidat, Landrichter Westerburg- 
Barmen über seine Stellung zu den großen Hauptfragen in einem 
sehr gemäßigten Sinne und ganz im Gegensatze zu den spezifisch 
Richter'schen Tendenzen ausgesprochen hat. Der Beschluß ist jedoch 
nicht ganz im Sinne Hänels, indem er eine ausgesprochene Spitze 
gegen Richter hat, und weil sich der nat.-lib. Abg. v. Eynern vorher 
mit Nachdruck nicht für eine große liberale, sondern für eine große 
Mittelpartei gegen die Extreme der Stöcker nach rechts und der 
Richter nach links erklärt hat. 
Die von Hrn. v. Eynern abgegebene Erklärung lautet: „Meine 
Ansichten über die Parteiverhältnisse in unserem Lande gehen dahin: Gegen- 
über den Gefahren, welche dem deutschen Reich aus dem stetigen Anwachsen 
des Ultramontanismus, des Partikularismus und der radikalen Elemente 
des Sozialismus drohen, erachte ich, soweit diese Gefahren durch die Ein- 
wirkung der parlamentarischen Körperschaften zu beseitigen sind, die An- 
bahnung der Bildung einer großen Mittelpartei für erforderlich. In diese 
Kombination schließe ich nach rechts die gemäßigt Konservativen, nach links 
die Sezessionisten und die Anhänger des Herrn Hänel ein. Ich schließe aus 
nach rechts den Herrn Hofprediger Stöcker und dessen Anhang, nach links 
Herrn Eugen Richter und dessen Anhang. Beide sind, so verschieden die 
Grundsätze sein mögen, von welchen sie ausgehen, für ein Wahl- und par- 
lamentarisches Bündnis mit den Ultramontanen und Partikularisten reif 
und rufen durch die agitatorische Art ihrer Einwirkung auf die unteren 
Volksklassen Geister hervor, deren sie nicht Herr bleiben können. Ich habe, 
soweit meine Kenntnis der Personen und Dinge reicht, bei dem allgemein 
vorhandenen guten Willen der patriotischen Unterordnung unter das Ganze 
die Überzeugung, daß nach Besiegung des kleinlichen und zänkischen Fraktions- 
geistes zwischen den Anhängern der genannten Richtungen gegenseitige Nach- 
giebigkeit geübt und damit eine Übereinstimmung in allen entscheidenden 
grundlegenden Fragen erzielt werden kann. Gehen wir den bisherigen und 
jetzigen Weg weiter, so treiben wir meiner festbegründenten Ansicht nach mit
	        
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