Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 11—12.) 161 
Vorstand zur Durchsicht vorzulegen. Major a. D. v. Bredow 
(Berlin) wird zum ersten, v. Simonyi (Pest) zum zweiten Vor- 
sitzenden gewählt. Die Versammlung ist über die Mittel zur Lösung 
der Judenfrage, ob gewaltsam oder nicht, keineswegs ganz einig, 
einigt sich aber schließlich einstimmig über eine Reihe von Thesen 
und über ein Manifest an die Regierungen, Parlamente und Völker 
Europas und Nordamerikas. 
Die Einladung zu dem Kongreß trug u. A. die Unterschriften 
von Dr. phil. Henrici (Berlin), Istoczy (Ungarn), Dr. theol. Hoffmann 
(Breslau), Onody (Ungarn), Stocker (Berlin), v. Thüngen-Roßbach (Bayern), 
v. Zerboni (Wien). In den Verhandlungen erklären zunächst Dr. 
Förster (Berlin), die Juden könnten unter den arisch- christlichen Völkern 
nicht einmal geduldet, höchstens ignoriert werden; ehe man in der Juden- 
frage nicht mit radikalen Mitteln vorgehe, werde es keine Ruhe, höchstens 
einmal einen Waffenstillstand geben, und Dr. Henrici (Berlin), er halte 
es für unbedingt erforderlich, die Juden aus Deutschland herauszubringen; 
eine andere Lösung gebe es nicht; er wolle gerade nicht eine gewaltsame 
Austreibung, aber auf gesetzlichem Wege müsse man und zwar so schnell 
als möglich die Juden aus allen christlichen Staaten vertreiben. Solchen 
Neigungen tritt jedoch Hofprediger Stöcker (Berlin) als „fast zu ideal, 
nicht ausführbar, beinahe phantastisch" entgegen mit dem offenen Ge- 
ständnis, daß die antisemitische Partei noch eine schwache sei und daß, 
wenn es in Deutschland jetzt zur Volksabstimmung käme, ob die 
Semiten oder die Antisemiten ausgetrieben werden sollten, die 
Abstimmung zweifellos zu Gunsten der letzteren Maßregel aus- 
fallen würde. Die von einer Kommission vorberatenen, von Stöcker vor- 
geschlagenen und einstimmig angenommenen Thesen lauten: „1) Die gegen- 
wärtige Stellung der Juden ist für sie selbst und für alle Kulturvölker 
eine Gefahr, für manche Nation schon jetzt der Grund materiellen und geisti- 
gen Verderbens. Eine internationale Vereinigung zu dem Zweck, die Über- 
macht des judentums zn brechen, ist eine unabweisbare Kulturaufgabe der 
christlichen Welt. 2) Die Judenfrage, obwohl in der Verschiedenheit des 
Stammes und Glaubens begründet, ist in ihrer Erscheinung keine bloße 
Rassen- oder Religionsfrage, sondern eine universelle Frage kulturhistorischen, 
politischen, sozialpolitischen und sittlich-religiösen Charakters. 3) Der Ein- 
fluß der Juden, nicht im Verhältnis zu ihrer Zahl und keineswegs durch 
höhere Begabung bewirkt, beruht auf der rücksichtslosen Erwerbung und 
Verwendung der Geldmacht und auf der Feindschaft gegen das christliche 
Staats- und Gesellschaftsleben, in der dadurch bedingten Macht über die 
schwachen und schlechten Elemente der Nationalitäten, endlich auf der Mangel- 
haftigkeit unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Zustände. 
4) Vom politischen Gesichtspunkte und nach ihrer Verheißung bestimmt eine 
eigene Nation zu bleiben, durch Abstammung, Sprache und Kultur inter- 
national verbunden, durch die Ehe untereinander, sowie durch Reinigungs- 
und Speisegesetze als eine Kaste charakterisiert, sind die Juden als solch 
unfähig, organische Bestandteile irgend eines christlichen Volkes zu bilden. 
Die Reformjuden, obwohl im einzelnen abweichend, bilden doch in ihrer 
allgemeinen Stellung keine Ausnahme, sondern durch das Bestreben, die 
christlichen Völker zu beherrschen und zu zersetzen, eine um so größere Gefahr. 
5) Die Emanzipation der Juden in dem Sinne nicht bloß gleicher Rechts- 
fähigkeit, sondern völlig staatsbürgerlicher Gleichstellung aufgefaßt, ist ein 
Schulthess Europ. Geschichtskalender. XXIII. Bd.
	        
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