Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

164 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 13—14.) 
13. September. (Bayern.) Die ultr. Mehrheit des Kollegiums 
der Gemeindebevollmächtigten in München beanstandet das (gesetzliche) 
Dienstesdefinitivum des Direktors der höhern Töchterschule und 
meint, daß bei veränderten Umständen auch eine andere Besetzung 
dieser Stelle in Erwägung zu ziehen sei. Die (lib.) Minderheit 
wirft ihr vor, daß es eigentlich nicht der Direktor, sondern der 
Protestant sei, den man zu beseitigen wünsche, und die Mehrheit 
gibt das zu „im Hinblick auf die Mehrheit der Bevölkerung, die 
katholisch sei, und auf die Tatsache, daß die wichtigsten Schulämter 
sich in den Händen von Protestanten befänden“. — Die Regierung 
tritt neuerdings den Machtnationen der ultramontanen Mehrheit 
beider Gemeindekollegien gelegentlich der bevorstehenden Inskription 
für die Volksschulen (Erschwerung der Inskription für die Simultan- 
schulen und Erleichterung derjenigen für die Konfessionsschulen) 
entgegen. 
14 — 20. September. (Deutsches Reich.) Große Kaiser- 
Manöver in Sachsen. Der König und die königliche Familie wett- 
eifern mit dem Volke, den greisen Kaiser zu ehren und zu feiern. 
Von jenen empfangen, gestaltet sich schon sein Einzug in das festlich 
geschmückte Dresden zu einem wahren Triumphzuge und die sächsi- 
schen Kaisertage gestalten sich nicht bloß zu einem großartigen mili- 
tärischen Schauspiel, sondern auch zu einem höchst bedeutsamen poli- 
tischen Ereignis. 
Der ganze Verlauf der sächsichen Kaisertage macht auch im Aus- 
lande ersichtlich großen Eindruck. Die Ansicht hatte sich zu einer Tradition 
ausgebildet, daß in den Mittelstaaten sich ein gewisser Antagonismus gegen 
das Reich und insbesondere Preußen nicht nur erhalten, sondern in den 
letzten Jahren noch an Umfang zugenommen habe. Die Ereignisse dieser 
Tage haben aber dargetan. daß solche Annahmen seinen Halt haben und 
daß das Reich bei den Fürsten und Bevölkerungen einen tieferen Grund 
hat, als bis jetzt geglaubt wurde. Die Idee des Reichs hat sich in zwölf 
Jahren tiefer und tiefer in die deutschen Herzen gesenkt, selbst da, wo ein 
wohlberechtigter Stammes- und Sondergeist zu herrschen gewohnt war. Die 
treue Anhänglichkeit an die engere Heimat schließt ja ein warmes Gefühl 
für das große Vaterland nicht aus, und Kaiser Wilhelm selbst erinnerte an 
einen Ausspruch seines Bruders Friedrich Wilhelms IV., daß die deutsche 
Einheit und die historische Vielheit sehr gut nebeneinander bestehen könnten. 
Von dem deutschen Hofe in Berlin geschieht aber auch alles mögliche, um 
jede Eifersucht und Empfindlichkeit der einzelnen Fürstenhöfe zu schonen. 
Diese müssen erkennen, daß sie im deutschen Kaiser den besten Schirmherrn 
haben, einen weit bessern jedenfalls als die souveränen Fürsten des Deutschen 
Bundes an dem Kaiser von Rußland besaßen, der die deutsche Uneinigkeit 
aufrecht zu erhalten bemüht war, nur um Deutschland in politischer Ohn- 
macht zu erhalten. Das sächsische Militär aber hat alle Ursache, auf die 
Lobsprüche stolz zu sein, welche ein Kenner wie Kaiser Wilhelm ihm erteilt.
	        
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