Allgemeine Chronik. XXI
5. Juni. [Österreich-Ungarn.] Der bisherige gemeinsame Finanzminister
und Minister für die okkupierten Provinzen, v. Szlavy, wird durch
v. Kallay ersetzt, der mit der bisherigen unfähigen und verkehrten
Verwaltung dieser Provinzen gründlich aufräumen will.
7. Juni [Deutsches Reich.] Der Reichstag lehnt alle vom Reichskanzler und
vom Bundesrat vorgeschlagenen weiteren (schutzzöllnerischen) Zollerhöh-
ungen ab.
10. Juni [Frankreich.] Die Kammer erklärt sich mit großer Mehrheit prin-
zipiell für die Aufhebung der Unabsetzbarkeit der Richter und für
die Wahl derselben statt der Ernennung durch die Regierung.
11. Juni [Frankreich und England — Ägypten.] Massakre der Europäer in
Alexandrien. Die westmächtliche Flotte muß untätig zusehen. Die
Europäer fangen an, massenhaft das Land zu verlassen. Ungewiß
bleibt, ob das Massakre von Arabi oder vom Khedive angestiftet
worden ist. Dieser und Derwisch P. gehen nach Alexandrien, um
sich nötigenfalls auf ein europ. Schiff retten zu können; Arabi bleibt
in Kairo, mehr als je Herr der Tage.
15., [Deutsches Reich.] Der Reichstag lehnt das Tabakmonopol mit
276 gegen nur 43 Stimmen ab und spricht sich in einer Resolution
auch gegen jede weitere Erhöhung der bestehenden Tabaksteuer aus.
Große Rede des Reichs- kanzlers für das Monopol; bedeutsame Rede
v. Bennigsen's über resp. gegen die überstürzende Steuer= und Wirt-
schaftsreform des Reichskanzlers überhaupt.
„ [Rußland.] Sturz Ignatieff's. Graf Tolstei wird an seine Stelle
zum Minister des Innern ernennt.
13. Juni IBelgien.] Bei den Erneuerungswahlen für die Hälfte beider Kam-
mern gewinnen die Liberalen in beiden einige weitere Stimmen.
14. Juni (Schweiz.] Beide Räte beschließen auf den Antrag des Bundesrates
eine schärfere Handhabung oder Ausführung des sog. Schulartikels
der Bundesverfassung gegenüber den Kantonen und die Anstellung
eines besonderen Erziehungssekretärs zu diesem Behufe.
15. Juni [Österreich- Ungarn: Österreich.] Die böhmischen Czechen agi-
tieren für eine Umgestaltung und Czechisierung der bisher deutsch
gesinnten böhmischen Handelskammern.
In Galizien wird im Interesse der Polen der ruthenische Erz-
bischof vom Papst zum freiwilligen Rücktritt gezwungen und der
ruthenische Basilianer-Mönchsorden den Jesuiten zu gründlicher Re-
sormierung überantwortet.
« [FrankreichJ Die öffentliche Meinung fängt an, sich sehr lebhaft
mit der Tongking-Frage zu beschäftigen.
„ [Frankreich.] Die Gambettisten fangen an, die Orleans und na-
mentlich den Herzog v. Aumale wegen Umtrieben gegen die Republik
zu denunzieren.
„ [Spanien.] Ein kgl. Dekret bahnt eine sukzessive Herabsetzung der
Zölle an, um die Zolleinnahmen zu vermehren, ohne darum auf das
Schutzollprinzip zu verzichten
[Rumänien- Österreich-Ungarn.] Rumänien macht in der Donau-
frage den Ausprüchen Österreich-Ungarns auf einen dominierenden
Einfluß beharrliche Opposition und wahrt seine Rechte als Uferstaat
aufs alleräußerste.
16. Juni [Deutsches Reich.] Bundesrat: verlängert den sog. kleinen Be-
lagerungszustand gegen die Sozialdemokratie über Leipzig und Um-
gegend um ein Jahr.
Reichstag: vertagt sich bis zum 30. November.