Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 25—26.) 175 
Berliner Kreissynode die Oberhand hat. Damit tritt die Agitation für die 
kirchlichen Wahlen in ein kritisches Stadium. Gelingt es den H.H. Kalthoff, 
Munkel und Genossen die freisinnige evangelische Partei zu diskretieren, so 
haben die Hochkirchler die besten Aussichten, bei den Wahlen die Mehrheit 
zu gewinnen, was nach der Ansicht des Hrn. Kalthoff freilich der sicherste 
Weg sein soll, innerhalb der evangelischen Kirche eine gesunde, kräftige 
Reaktion gegen die herrschende Partei hervorzurufen. 
25. September. (Bayern.) Die kgl. Lokalschulkommission 
von Augsburg lehnt den vom Domkapitular, Dompfarrer und kgl. 
Lokalschulinspektor Perenne gestellten und vom protestantischen Dekan 
Trenkle unterstützten Antrag auf prinzipielle Beseitigung der be- 
stehenden Simultanschulen in namentlicher Abstimmung mit 14 
gegen 6 Stimmen ab. 
26. September. (Preußen.) Vereinstag der „Freunde der 
positiven Union“ in Berlin. Bei der gegenwärtigen Vermischung 
kirchlicher und staatlicher Interessen in Preußen gewinnt derselbe 
auch eine gewisse politische Bedeutung. 
Die sog. Hofpredigerpartei spielt in der Versammlung eine Haupt- 
rolle. Hofprediger Bauer versteigt sich zu der paradoren Behauptung: „die 
Simultanschule ist die Schule der Knechtschaft der Unduldsamkeit, des Rück- 
schritts, der Prosa, der Charakterlosigkeit; die konfessionelle Schule dagegen 
ist die Schule der Freiheit, der Duldung, des Fortschritts, der Poesie, des 
Charakters.“ Hofprediger Stöcker fordert auch für die evangelische Kirche 
Bischöfe mit autoritativer Gewalt und um dieselbe vor liberalen Abgeord- 
neten, Ministern und einem möglicherweise weniger positiven Landesherrn 
zu sichern, gänzliche Unabhängigkeit derselben auch vom Summepiskopat. Ja 
ein jugendlicher Heißsporn aus Liegnitz ruft Katholiken und Protestanten 
zum gemeinsamen Kreuzzuge gegen die „Türken" des Liberalismus auf, wie 
denn auch Hofprediger Stöcker das Antichristentum nicht in Rom, sondern 
in der reformfreundlichen Kreissynode Berlin-Köln etc. „in dem erbitterten 
Kampfe der politisch-liberalen Kreise gegen die orthodoxe evangelische Kirche" 
sieht. Stöcker ist auch für den von den katholischen Klerikalen wie von den 
protestantischen Konservativen erhobenen Anspruch, auf derselben Grundlage des 
apostolischen Glaubensbekenntnisses zusammen zu stehen und zusammen zu 
gehen. Doch stößt seine Tendenz nachgerade auf entschiedenen Widerspruch. 
In der Mischehenfrage hat die katholische Kirche ihre Hörner gegen den 
Protestantismus doch zu deutlich hervorgestreckt, wenn auch alsbald wieder 
etwas eingezogen. Die Abwehr der protestantischen Kirche und die Unmög- 
lichkeit, mit solchen Gegnern zusammen zu gehen, kommt daher selbst in dieser 
Versammlung vielfach zum Durchbruch, doch solle es nur mit würdigen Waffen 
geschehen, ohne jede stolze äußere Kircheneinheit und nicht etwa durch Mobil- 
machung eines protestantischen Zentrums und ohne eine geistliche Demagogie, 
welche die  Leidenschaften des Volkes aufreize. In diesem Sinne wird denn 
auch beschlossen in einer Resolution zu erklären: „Daß wir mit katholischen 
Christen auf dem neutralen Boden des sozialen und staatlichen Lebens zwar 
gemeinsam für das Volkswohl arbeiten können; daß wir dagegen zwischen 
der Kirche des unfehlbaren Papstes und des unfehlbaren Gotteswortes eine 
immer tiefer werdende Kluft erkennen; daß wir eine Schwesterhand, welche 
die Kirche Roms nicht bietet, auch nicht ergreifen können und die Verun-
	        
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