Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 14.) 201
die „Germania“, stellt der Regierung für den bevorstehenden Landtag
eine Art Ultimatum, in dem als die „Hauptsache“ die definitive
Revision der Maigesetze oder zum wenigsten der Bestimmungen über
die Anzeigepflicht der Kirche und das Einspruchsrecht des Staates
gefordert wird.
Wenn dieses „Ultimatum“ des ultramontanen Zentrums auch das
Ultimatum der Kurie ist, so sleht eine Einigung noch in weitem Felde. Ein
Rückblick auf die letzten Verhandlungen über die Frage läßt darüber kaum
einen Zweifel. In beiden Beziehungen enthielt der im Frühjahr dem Land-
tag vorgelegte Gesetzentwurf Bestimmungen, welche vielsach als ein Preis-
geben staatlicher Rechte angefochten wurden; das Einspruchsrecht war wesent-
lich abgeschwächt und die Anzeigepflicht für Hilfsgeistliche von dem dis-
kretionären Ermessen der Regierung abhängig gemacht. Diese Bestimmungen
wurden im Abgeordnetenhause abgelehnt, weil das Zentrum erklärle, ohne
die Zustimmmg der Kurie nicht dafür eintreten zu konnen. Zetzt bezeichnet
die „Germania“ das Breve Leo's Xlll. an Erzbischof Melchers vom 24. Febr.
1880 als das „Ultimatum der Kirche.“ In diesem Breve war gesagt,
der heilige Stuhl werde, um seine Friedensliebe zu beweisen, zulassen, daß
der preußischen Regierung vor der kanonischen Institution die Namen der-
jenigen Priester angezeigt würden, welche die Bischöfe der Diözesen zu Teil-
nehmern ihrer Sorgen in der Ausübung der Seelsorge berufen würden.
Das ist sehr unklar, aber der damalige Minister des Kultus, H. v. Putt-
kamer, hat bei der ersten Beratung des Juligesetzes im Abgeordnetenhause
(28. Mai 1880) eine authentische Interpretation jenes Passus in Form
einer Depesche des Kardinalstaatssekretärs Rina an den damaligen Runtius
in Wien, Msgr. Jakobini, vom 23. März 1880 mitgeteilt. Die Ordinarii,
welche wieder in den Besitz der Freiheit ihres Hirtenamtes getreten sind,
d.h. also die wiedereingesetzten Bischöfe, sollten sich, sofern es sich um die
Ernennung inamovibler Pfarrer handelt, an die Regierung wenden, um die
Ansichten oder Einwendungen in Betreff der Kandidaten, um welche es sich
handelt, kennen zu lernen. Dabei werde aber Se. Heiligkeit, um mögliche
Mißverständnisse zu vermeiden, Sorge tragen, darzulegen, daß die fragliche
Ansicht der Regierung niemals anders betrachtet werden könne, denn als eine
Ermittlung des „Agrément“ des Staates. So sehr auch die Autoriät der
Kirche danach Verlangen trüge und so sehr es auch in ihrem Interesse sein
würde, in den fraglichen Fällen den Staat zufrieden zu stellen, so werde
doch das letzte Urteil über die Qualifikation der Kandidaten immer den
Bischöfen zustehen und, im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen
ihnen und dem Staat, dem Papste. Also eine Anzeige nur der inamo-
viblen Pfarrer und ein dem Papste gegenüber völlig wirkungsloses Ein-
spruchsrecht des Staates. Und was war das Zugeständnis, welches die
Kurie forderte? Die Zusicherung, daß die preußische Gesetzgebung in Über-
einstimmung mit den Grundsätzen der katholischen Kirche gebracht werde, zu
denen namentlich die freie Ausübung des h. Ministeriums, sowie die Er-
ziehung des Klerus und der religiöse Unterricht der katholischen Jugend ge-
höre. Bekanntlich ließ Fürst Bismarck damals erklären, man habe ihm eine
Thorheit zugetraut, wozu er nie Veranlassung gegeben habe, und dann
erfolgte die Antwort aus Rom, das Breve vom 24. Februar sei als non
uvenu zu betrachten.
14. November. (Preußen.) Eröffnung des Landtags. Thron-
rede des Kaisers und Königs: