Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 14.) 203
deihen zu lassen, welche mit den Gesamtinteressen des Staates und der Nation
verträglich ist. Zur besonderen Befriedigung gereicht es Mir, Ihnen mit-
teilen zu können, daß die Beziehungen des Deutschen Reiches zu allen aus-
wärtigen Regierungen Mir die Überzeugung gewähren, daß die Wohl-
taten des Friedens uns gesichert bleiben werden.
Das Schwergewicht der Thronrede fällt unzweifelhaft auf die ange-
kündigte Vorlage betr. sofortige Aufhebung der vier untersten Stufen der
Klassensteuer und zwar aus eigenen preußischen Mitteln und ohne auf die
Bewilligung neuer Steuern seitens des Reichstags zu warten. Über die Art
der Deckung schweigt dagegen die Thronrede völlig, ebenso wie über die Höhe
des durch eine Anleihe zu deckenden Defizits. Ob und wie weit also
die Regierung den Anschauungen Bennigsen's in seiner Programmrede im
Reichstag vom 15. Juni entgegen zu kommen geneigt sei oder nicht, bleibt
ungewiß. Es scheint nicht der Fall zu sein. In einem Kommentar zur
Thronrede lüftet nämlich die „Prov. Korresp.“ einigermaßen den Schleier,
indem sie sagt: „Da eine Aufhebung der einmal bewilligten Steuererlasse
nicht in Frage kommen kann, eben sowenig aber eine der beabsichtigten
Aufhebung entsprechende Erhöhung der bestehenden direkten Steuern nach
der auf eingehendsten Erwägungen beruhenden Überzeugung der Staats-
regierung bei der gegenwärtigen Lage der Verhältnisse angängig erscheint, so
muß ein einstweiliger Ersatz auf andere Weise gefunden werden. Es liegt
in der Absicht, dies dadurch zu erreichen, daß der Vertrieb einer Reihe
von Massenartikeln des Konsums mit einer der Gewerbesteuer
nachgebildeten Steuer belegt wird, welche sich innerhalb der durch die
Reichsverfassung der Landesgesetzgebung gewiesenen Schranken hält. Dem
Reiche wird sodann die Aufgabe zufallen, auf eine rationellere Besteuerung
dieser Artikel im Wege einer wirklichen Konsumtionssteuer Bedacht zu
nehmen.“ Man muß demnach annehmen, daß die Regierung eine Mehrheit
für ihre Vorlage zunächst noch immer von einer Koalition der konservativen
Partei mit dem Zentrum erwarte. Allein ob das Zentrum dazu die Hand
bietet: Vor der Hand wird es als in sehr schlechter und verbitterter Stim-
mung bez. der Regierung geschildert und sehr entschlossen, sich seine Zu-
stimmung nur durch große Konzessionen auf kirchenpolitischem Gebiete ab-
laufen zu lassen. Erst wenn das unmöglich erschiene, würde die Regierung
vielleicht versuchen, sich mit den Mittelparteien zu verständigen. Inzwischen
in der Passus der Thronrede über die römische Kurie wohl dazu bestimmt,
das Zentrum günstig zu stimmen. Allein derselbe erscheint allen Seiten
höchst auffallend, da er weder mit der Nicht-Ausführung des letzten kirchen-
politischen Gesetzes seitens der Regierung, noch mit der Tatsache stimmt,
daß wenigstens bis jetzt der neue preußische Gesandte beim Papst auch nicht
die kleinste Konzession von seiner Seite erreicht hat.
Zur Frage der Aufhebung der vier untersten Stufen der Klassen-
steuer werden von den Blättern folgende statistische Daten beigebracht:
Das Gesetz vom Jahre 1851 zog alle Staatsbürger zur direkten Steuer-
leistung heran, so daß die Klassensteuer in den untersten Stufen fast den
Charakter einer Kopfsteuer annahm. Im Jahre 1873 hatte das Ministerium
Camphausen unter großer Opposition eine Reform durchgesetzt, welche die
Befreiung der Einkommen unter 140 Thaler aussprach. Der Klassensteuer
sind also nunmehr unterworfen die 12 Einkommenstufen von 420 bis 3.000 Mark.
Die höheren Einkommen gehören in den Bereich der klassifizierten Einkom-
mensteuer. Die Klassensteuer hat in Preußen ein Erträgnis von ca. 44 Mill.
Mark abgeworfen. Die vier untersten Stufen, welche nunmehr von der
Steuer befreit werden sollen, umfassen die Einkommen von 420 bis 1.200 Mark;