Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 16-17.) 205 
16. November. (Preußen.) Abg.«Haus: Präsidentenwahlen: 
Zum Präsidenten wird der bisherige (kons.) v. Köller mit 390 von 
397 Stimmen gewählt (6 Zettel sind leer), zum ersten Vizepräsi- 
denten der (ultram.) v. Heeremann mit 316 Stimmen (die Nat.- 
Liberalen geben 66 weiße Zettel ab) und zum zweiten Vizepräsi- 
denten der (nat.-lib.) v. Benda mit 256 Stimmen (der Konserv., 
Freikonf. und der Linken); das Zentrum mit den Polen gibt 88 
Stimmen dem (freikonserv.) Stengel. 
Die Wahl erfolgt wieder durch Kompromiß, aber in etwas anderer 
Weise als bisher und derselbe bringt dem Zentrum einen scheinbaren Erfolg 
und eine kleine, aber sehr reale Niederlage. Der scheinbare Erfolg besteht 
darin, daß die Nationalliberalen das Anrecht des Zentrums auf eine Ver- 
tretung in dem Präsidium nicht mehr bestreiten, wenn sie auch dem Frhrn. 
v. Heereman ihre Stimmen nicht geben. Die tatsächliche Niederlage erleidet 
das Zentrum, indem die Präsidentenwahl vorübergeht, ohne daß es eines 
konservativ klerikalen Kompromisses bedurft hätte, und ohne daß die Kon- 
servativen ein solches für nötig gehalten haben. In früheren Sessionen 
haben allerdings die Konservativen den Nationalliberalen auch schon die 
zweite Vizepräsidentenstelle angeboten, immer aber unter der Bedingung, daß 
sie der Vereinbarung zwischen den Konservativen und dem Zentrum über 
die Besetzung der Präsidenten- und der ersten Vizepräsidentenstelle ihre Zu- 
stimmung erteilten. Dazu waren die Nationalliberalen nicht zu vermögen. 
Diesesmal aber haben die Konservativen von einer solchen Bedingung ab- 
gesehen. Sie haben dem Zentrum den ersten, den Nationalliberalen den 
zweiten Vizepräsidenten offeriert, und beide Parteien haben, jede für sich, 
das Anerbieten angenommen. 
Nach der vom Bureaudirektor des Abg.-Hauses Geheimrat Klein- 
schmidt aufgestellten Fraktions- liste gehören an: der konservativen Partei 
114, den Freikonservativen 55, dem Zentrum 97, den Nationalliberalen 67, 
den Sezessionisten 21, der Fortschritts- partei 37, den Polen 18. Keiner 
Fraktion gehören an: Berger, Löwe, Bockum- Dolffs , Lenthe (Welfe); 5 Ab- 
geordnete sind Minister; 2 sind Dänen. Man findet je einen Altkonserva- 
tiven, monarchisch- konstitutionellen (Landrat Roth), christlich-konservativ 
(Cremer). Drei Mitglieder behalten sich die Entscheidung, ob konservativ 
oder freikonservativ vor. Von drei Mitgliedern fehlt jede Erklärung. 
Etwas später wird die Stärke der Fraktionen ebenfalls amtlich angegeben, 
wie folgt: Konservative 117, Zentrum 98, Nationalliberale 67, Freikonser- 
vative 59, Fortschrittspartei 38, polnische Fraktion 18 Mitglieder. 36 Mit- 
glieder, einschließlich der Secessionisten, gehören keiner Partei an. Erledigt 
ist ein Mandat durch die Ablehnung Richters für Berlin. 
17. November. (Preußen.) Abg.-Haus: die Regierung bringt 
den Etat für 1883/84 nach bisheriger Übung nicht wie im Reiche 
schriftlich, sondern bloß mündlich ein, und der Finanzminister Scholz 
knüpft daran eine längere Darlegung. 
Der neue Finanzminister hat dadurch Gelegenheit, sich dem Landtage 
vorzustellen und zwar nicht ungünstig, da man findet, daß seine Rede von 
den verschwommenen, weitschweifigen, unsichern Reden seines Vorgängers 
Bitter durch Glätte, Klarheit und Bestimmtheit vorteilhaft absteche. Nach 
seiner Darlegung ist die Finanzlage des Landes in gewissen Beziehungen
	        
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