Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 21.) 209 
Diese Tatsache ist nicht ohne Interesse. Die Hauptsache aber ist die Schil- 
derung des gegenwärtigen Zustandes, der Nachweis, daß mit ganz seltenen 
und von dem Erbrecht ganz unabhängigen, durch Abänderung des Erbrechts 
also auch nicht zu beseitigenden Ausnahmen die Bauerngüter Eigentum der 
Familie bleiben und von dem Besitzer schon bei Lebzeiten durch Überlassungs- 
vertrag an einen geeigneten Erben und gegen eine sehr mäßige Entschädi- 
gung der übrigen übertragen werden. Das Kammergericht ist sogar so un- 
befangen, in Abrede zu stellen, daß eine fortschreitende Verschuldung der 
Bauerngüter existiere, am allerwenigsten will es von einer durch das be- 
stehende Erbrecht verursachten Überschuldung wissen: „Es fehlt an Anzeichen 
dafür, daß die Abfindungen der Miterben zu hoch festgesetzt werden, daß es 
den Übernehmern der Höfe nicht gelinge, die Abfindungen abzustatten, daß 
unbillige -Zahlungs und Verzinsungsbedingungen festgesetzt werden“ u. s. w. 
Das Kammergericht kann auch keine Veranlassung zu der Annahme emtdecken, 
daß dieser erfreuliche Zustand sich infolge des bestehenden Erbrechts ändern 
werde. Dagegen dreht der Bericht des Kammergerichts den Spieß um und 
behauptet, nach dem, was über den regelmäßigen Verlauf der Erbregu- 
lierungen festgestellt worden, dürfe es als unzweifelhaft gelten, daß die Ver- 
minderung des mittleren ländlichen Grundbesitzes, falls sie erfolgt, zurückzu- 
führen sei auf das Streben der größeren Besitzer nach Abrundung und Er- 
weiterung ihres Besitzes. Im Bezirk des Amtsgerichts Prenzlau seien im 
Laufe der Zeit 31 Bauernhöfe, 30 Büdner- und Mühlen-Grundstücke, 4 
Husen und 12 Ackerparzellen Bauernland Rittergütern zugelegt worden. 
Ein großer Gutskomplex und zwei namentlich bezeichnete Güter bestünden 
aus zusammengekauften Bauernländereien. Der landwirtschaftliche Minister 
hat sich denn auch veranlaßt gesehen, die Vorschläge des Provinziallandtags 
abzulehnen und legt dem preußischen Landtage einen Gesetzentwurf vor, 
durch welchen lediglich das hannoverische und westfälische Höferecht, welches 
dem Besitzer die Eintragung in die Höferolle mit den rechtlichen Folgen 
freistellt, auf die Provinz Brandenburg ausgedehnt wird. Das Kammerge- 
richt hat sich damit einverstanden erklärt, weil durch die Eintragung in die 
Höferolle den Grundbesitzern der Abschluß der kostspieligen Überlassungsver- 
träge erspart und die Anfechtbarkeit ihrer Verfügungen über den Besitz be- 
seitigt werde. Für die Folge ist eine Ausdehnung dieser in gutem Sinne 
agrarischen Gesetzgebung auch auf die Provinzen Schleswig-Holstein, Schlesien 
und Sachsen in Übereinstimmung mit den Wünschen der betreffenden Pro- 
vinziallandtage beabsichtigt. In Westfalen hat nach der Versicherung der 
Motive das Institut der Höferolle eine selbst über Erwarten schnelle und 
ausgedehnte Anwendung gefunden, was um so bemerkenswerter ist, als der 
Anstoß zu dem Gesetze durch die unter Direktion des Frhrn. v. Schorlemer- 
Alst stehenden Bauernvereine erfolgt ist. Der preußische Bauernstand 
ist offenbar viel besser als der Ruf, in den ihn die „Agrarier" bringen 
möchten. 
Die beabsichtigte Erhebung einer Statistik der hypothekarischen Ver- 
schuldung des ländlichen Grundbesitzes in Preußen soll nunmehr zunächst 
probeweise in dreizehn Amtsgerichtsbezirken der östlichen Provinzen zur Aus- 
führung gebracht werden. 
21. November. (Deutsches Reich.) In Übereinstimmung 
mit der Andeutung des Finanzministers Scholz im preußischen Ab- 
geordnetenhause am 17. ds. tritt die „Nordd. Allg. Ztg.“ nach- 
drücklich für eine namhafte Erhöhung der Holzzölle ein. Eine dies- 
Schulthess Europ. Geschichtskalender. XXIII. Bd. 14
	        
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