bie Okeerreichisch-ugarische Monarchie. (Mai 17—22.) 287
führung der „Gleichberechtigung“ auch in Schlesien. In diesem,
wo seit Jahrhunderten nie anders als deutsch amtiert wurde, soll
eine dreisprachige Amtierung — deutsch, polnisch und czechisch —
eingeführt werden. Bisher hat sich indeß Graf Taasse gegen die
Forderung ablehnend verhalten.
17. Mai. (Österreich.) Selbst die Weiterverbreitung wahr=
heitsgetreuer Berichte aus dem Parlamente wird in Frage gestellt,
indem das Oberlandesgericht von Niederösterreich den Einspruch
gegen eine von der Regierung verfügte Konfiskation mit der Be-
gründung ablehnt, daß „auch die wahrheitsgetreue Wiedergabe der
im Parlamente gehaltenen Reden die Blätter vor der Konfiskation
nicht schütze, sobald der Staatsanwalt das Verbot der Weiterver-
breitung einer Nede im öffentlichen Interesse begehrt.“ Der oberste
Gerichtshof erklärt jedoch auf eingelegten Rekurs die Konfiskation
wahrheitsgetreuer Parlamentsberichte als gegen das Gesetz verstoßend.
19. Mai. (Ungarn.) Ein in Tisza-Eßlar auf allerdings
ziemlich rätselhafte Art verschwundenes Mädchen gibt zu einer weit-
schichtigen Untersuchung Veranlassung. Die Antisemiten, wie die
Abgg. Onody und Istochy, behaupten steif und fest, das Mädchen
sei von den dortigen Juden und zwar zu ritnuellen Zwecken ermordet
worden und der Untersuchungsrichter Vary scheint auch seinerseits
von dieser Anschauung aus vorzugehen, und zwar mit Mitteln, die
sonst im civilisierten Europa nicht mehr gebräuchlich sind. Der
Antisemitismus erhält dadurch in Ungarn neue Nahrung.
22. Mai. (Österreich.) Herrenhaus: nimmt den neuen Zoll-
tarif nach dem Beschlusse der Reichsrats an, lehnt aber die von
diesem beschlossene Abänderung des Getreidezolls nach dem Wunsche
der Regierung und dem Verlangen Ungarus seinerfeits ab. Die
Mehrheit ist der Ansicht, daß die Alpenländer sich mit Art. 7 des
Einführungsgesetzes (s. 1. Juni) begnügen können.
22. Mai. (Ssterreich.) Der „Vereinigten Linken“ des Neichs-
rats scheint eine Parteizersetzung oder Abbröckelung zu drohen. Auf
Anregung von Ad. Fischhof findet in Wien eine Besprechung von
ca. 20 Abgeordneten und Vertretern von Vereinen, darunter die
Abgg. Graf Coronini, v. Walterskirchen, Graf Wurmbrand, Krona-
wetter, Newald 2c. zum Zwecke der Gründung einer neuen Partei,
die sich „österr. Volkspartei“ neunen soll, statt. Das aufgestellte
Programm gipfelt in folgenden Punkten: Abschaffung der Interessen-
vertretung, Erweiterung des Wahlrechts und Vereinigung aller libe-