Pie csterreichisch-Ungarische Monarcie. (Juni 5—12.) 293
Freunde und Gegner der Okkupation stimmen in der Ansicht überein,
daß der rechte Mann für den schweren und verantwortungsreichen Posten
in ihm gejunden sei. Derselbe will sich auch durch eine Bereisung der okku-
pierken Provinzen von den dortigen Zuständen zunächst selbst überzeugen.
Der neue Minister spricht russisch, serbisch, rumänisch und türkisch und hat
früher Rußland, die europ. Türkei und Kleinasien bereist. Es wird sogar
behauptet, daß Kallay zu einer Zeit, wo das Projekt der Oklupation erst
als embryonische Idee in den Köpfen Weniger zu keimen begann, im Auf-
trage des Grafen Andrassy die nachmals wirklich besetzten kürkischen Pro-
vinzen bereiste, und daß auf Grund aseiner Berichte der Okkupationsplan
nach und nach festere Gestalt gewann. Die Hauptpunkte seines Programms
sind: Die Durchführung der Civilverwallung, die Vereinfachung der Ver-
walkungennafching und eine Neubildung des Beamtenkörpers.
5. Juni. (Galizien.) In Brody wird mit der Repatriie-
rung eines Teils der jüdischen Flüchtlinge nach Rußland begonnen.
7—8. Juni. (Ungarn.) Abg.-Haus: Eine Petition gegen
ein allfälliges Eindringen von Juden aus Rußland führt zu einer
neuen, großen Judendebatte, in der sich der Ministerpräsident Tisza
neuerdings für die Aufrechthaltung der den Juden gewährten Rechts-
gleichheit und gegen jede außerordentliche Maßregel gegen sie aus-
spricht.
10. Juni. (Ungarn.) Die Generalversammlung der Aktio-
näre der österr. Staatsbahngesellschaft genehmigt den mit der unga-
rischen Regierung abgeschlossenen Vertrag, der die auf ungarischem
Gebiete liegenden Bahnen derselben von SÖsterreich loslöst und den
speziell-ungarischen Interessen wesentlich dienstbar macht.
12. Juni. (Ssterreich.) Mit Rücksicht auf die Eigenart der
weinbautreibenden Kronländer wird die Session der Landtage von
Steiermark, Tirol und Görz schon an diesem Tage eröffnet, während
die übrigen Landtage sich erst im Herbst verfammeln werden. Am
meisten Interesse erregt der Landtag von Steiermark, wo die flo-=
venische Minderheit mit ziemlich weitgehenden Anträgen auf Slo-
venisierung des Schulwesens in Untersteiermark hervortritt und da-
bei die Wirksamkeit des „deutschen Schulvereins“ aufs heftigste an-
greift.
12. Juni. (Galizien.) Beginn des Staatsprogzesses gegen
die im Februar verhafteten, durch Stellung, Bildung und Einfluß
hervorragenden Ruthenen in Lemberg. Von den damals Verhafteten
waren 9 nach dreimonatlicher Untersuchung aus der Haft entlassen
worden, die 11 anderen wurden in Anklagestand versetzt. Die An-
klageakte geht auf das Verbrechen des Hochverrats, das nach dem
Strafgesetzbuch mit dem Tode zu bestrafen ist. Hauptangeklagter
ist Adolf Ritter v. Tacsurow-Dobrzansky, k. k. Hofrat im Ruhestand.