Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Pie chkterreichisch-Augarische Monarchie. (Ltt. 22.) 323 
ordnung nicht als so harmlos an. „Die deutsche Sprache“, schreibt die 
Dentsche Ztg“, „welche seit Maria Theresin aus Ssschließliche Amts= und 
Gerichlssprache in Schlesien war, hat aufgehört, dieß zu jein. Der Ver- 
treter der Regierung hat ausdrücklich dagegen Verwahrung eingelegt, als ob 
man es mit einer Sprachenzwangsverordnung zu thun habe und wies auf 
das angebliche Bedürfnis hin, welches die Regierung zu diesem Erlaß be- 
slimmt hätte. Woraus aber hat Herr Lrr. Prazak auf das Vorhandensein 
dieses Bedürfnisses geschlossen? Bis. jept herrschte in Schlesien der liesste 
nationale Frieden. Trotz aller Anstrengungen der aus Böhmen und Mähren 
importierten Agikatoren war es nicht gelungen, unter der flavischen Bevöl- 
kerung des Landes eine den Deutschen feindselige Stimmung zu erzeugen. 
Willig erkennen sie die Suprematie der deutschen Sprache und Kultur an; 
die Kenntnis der deutschen Sprache ist in Schlesien so weit verbreitet, daß 
selbst in dem entlegensten czechischen oder polnischen Dorfe Personen sich 
vorfinden, welche der deutschen Sprache mächtig sind. Andrerseits reden die 
Slaven in Schlesien Dialekte, welche sehr weit von der czechischen oder pol- 
nischen Schriftsprache differieren. Für den flavischen Bauer im Teschener 
Kreise ist das Hochpolnische eine fast unverständliche Sprache; ein polnisch 
abgefaßtes Schriftslück ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, während er 
sich über ein deutsches Schriftsuc sofort Bescheid zu verschaffen weiß. Wo 
also, fragen wir, war das Bedürfnis für diesen neuesten Erlaß Sr. Excellen 
des Herrn Dr. Prazat! D ie richtige Antwort darauf hat der Herr Landes- 
präsident Bacquehem selber gegeben, indem er meinte, der ausschließliche 
Gebrauch der deutschen Sprache in Schlesien sei unter den gegenwärligen 
Verhältnissen- völlig unhaltbar geworden. Unter den gegenwärtigen Ver- 
hältnissen! Das ist wohl die beste Erklärung für eine Maßregel, für die 
leine Notwendigkeit vorlag. Aber die Koryphäen des Polen= und Czechen= 
Klubs haben es jo gewollt, und nun ist auch das fleißige, friedliebende 
Schlesien in die Reihen der Kronländer mit Sprachen- Verordnungen ge 
rückl“. Noch stärker äußert sich die „Neue Freie Presse“ dahin: „In 
Schlesien hat man also die in Böhmen und Mähren perhoreszierte, „Be- 
zirksüblichkeit" der Sprache angenommen, offenbar deshalb, weil man bei 
der „Landesüblichleit“ der Sprache die Anwendung der czechischen und am 
allerwenigsten die Anwendung der czechischen und polnischen Sprache nicht 
hätte auordnen können. Man sieht, die „Gleichberechtigung" ist heutzutage 
ein Begriff, weich wie Wachs und dehnbar wie Kantschuck; sie streckt sich je 
nach dem Kraftanfwande der Parteien, für deren staaksrechtlichen Zweck sie 
dienen muß“. 
22. Oktober. (Schlesien.) Der Landtag beschließt in der 
Form von Resolutionen eine Art Protest gegen die Sprachenverord- 
nung der Regierung: 
1) Es kann als richtig nicht anerkannt werden, daß jene Voraus- 
sebungen, welche rücksichtlich der sprachlichen Verhältnisse in Schlesien und 
rücksichtlich des Bedürfnisses nach einer Anderung der sprachlichen Rechtsver- 
hältnisse bei den Gerichten zur Begründung des Sprachenerlasses des Justiz= 
ministeriums in diesem Erlasse angeführt werden, im Lande thatsächlich be- 
siehen — und es wird gleichzeitig konstatiert, daß die Regierung selbst die 
thatsächlichen Vorbedingungen für die Anwendung des Artikels 19 des 
Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Nechte der Staalsbürger in Schlesien 
als nicht vorhanden bezeichnen mußte. 2) Der Landtag betrachtet daher 
auch diesen Ministerialerlaß nicht sowohl als eine Konzession an die Landes- 
bewohner flavischer Zunge, sondern vornehmlich als eine Mahregel, Zu 
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