Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Franbriich. (Jan. 19.) 385 
gemacht hat. Man will nicht blos eine eigene offrikanische Armee, sondern 
ein Korps stels mobiler Truppen schaffen, das unabhängig von den anderen 
Korps ist, und über das sofort verfügt werden kann, ohne daß jene anderen 
in Mitleidenschaft gezogen, in ihrem Bestand und in ihrer Bestimmung ge- 
slört werden. Neu ist serner die Schaffung einer eigenen Festungsartillerie; 
diese Einrichtung wird von Deutschland herübergenommen. 
19. Jannar. Großer Börsenkrach in Paris und Lyon: Die 
sog. „kath.“ Bank Union Gencrale Vontour stellt ihre Zahlungen 
ein. Es gehen dadurch Hunderte von Millionen verloren und die 
Börse erholt sich das ganze Jahr hindurch nicht mehr völlig von 
diesem Zusammenbruch. Die Katastrophe hängt mit der Politik 
und dem Auftreten des Ministeriums Gambetta unzweijelhaft zu- 
sammen. Bontour wird verhaftet. 
Der Krach tritt, wenn auch nicht unerwartet, doch schneller ein, als 
man erwartet hat. Das Hauptinteresse desselben konzentriert sich auf die Bon- 
toux'sche Union Gencrale und die mit dieser Unternehmung zusammenhängen- 
den Gründungen. G ist noch gar nicht lange her, da war die Union Gencrale 
eine wenig bedeutene Bank; als aber durch Austreibung der Jeiniten und 
durch eine mit Geschick in latholischen Kreisen geführte Agitation katholische 
Gelder in ungeheuren Summen verwendbar wurden, wußte sie Vontonx der 
Union Gencrale zuzuführen. Diese „katholische“ Unternehmung machte bald 
viel von sich reden und namentlich die Aristolratie Frankreichs ließ sich 
wohl meist durch geistlichen Einfluß verleiten, ihr Geld der Union anzu- 
vertrauen, deren Altien sich infolge des Geldzuflusses bald hoben. Als die 
Union Göncrale nun ihre Beziehungen, namentlich durch die von der öster- 
reichischen Negierung Taaffe begünstigte Länderbank, auch nach dem Aus- 
land ausdehnte, versiel die Spekulation auf dieses und die von ihm bevor- 
zugten Papiere. Während bisher das Geschäft mit Hilfe des gulen katho- 
lischen Geldes ein reelles gewesen war, wurde es jetzt ein nurcelles und die 
Aktien erreichten eine schwindelhafte Hobe ohne daß man dafür einen eigent- 
lichen Grund anführen konnte, da die von der Bank und ihren Zweiganstalten 
erzielten Gewinne nur auf Börseufpiel beruhten. Besonders Lyon nahm die 
Vontouxwerte mit übereiser auf, arbeitete sich in ungesunde Spelulation 
hinein und erscheint durch die Krisis noch mehr bedroht als Paris. Das 
Publikum, welches ungeheure Summen durch Differenzspekulationen in diesen 
Werlen gewinnen sah, konnte der Versuchung nicht widerstehen und ließ 
sich auch auf dieje gefährlichen Unternehmungen ein, leider auch das kleine 
Kapital. LeWhleres mußte, um Geld flüssig zu machen, seine Bestände an 
Rente veräußern und trug dadurch natürlich zum Sinken der Rentenkurse 
bei. Frankreich ist das Land der kleinen Ersparnisse und jeder nur einiger- 
maßen gutgestellte Bürger legt jährlich eine kleine Summe zurück und wird 
dadurch zum Kapitalisten. Mit Vorliebe benuht er dazu die Nente, in der 
infolge dessen ein Kapital steckt, welches nicht nur durch seine Höhe, sondern 
auch durch die Art seines Ursprungs und die Eigenschaft seines Besitzes zu 
einem höchst bedeutenden Faktor wird. Als unn die Rente infolge der zu 
Spekulationszwecken in Bontouxwerten veranstalteten Verkäufe zurückging, 
kamen auch noch ungünstige polilische Verhältnisse hinzu, welche den Kurs 
noch mehr warfen. Die Unzufriedenheit hoher Finanzkreise mit der Wahl 
Allain-Targés zum Finanzminister, das ungünstige Debut des Minfsteriuns 
Gambetta, die ägyptische Frage, alles das zusammen bewirkte, daß die Rente 
seit dem Amtsantritt Gambektais um sechs Prozent oesunlen * daß also 
Schulthess, Enrop. Ceschichtslalender. XXIII. B#.
	        
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