Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

390 Frankreich. (Febr. 24 — März 2.) 
24. Februar. Senat: verwirft mit 148 gegen 125 Stimmen 
das schon vor zwei Jahren von der Kammer angenommene Gesetz 
betr. Regelung der Arbeitsstunden in Werkstätten und Fabriken. 
28. Februar. Die Regierung schließt mit einer der 6 großen 
Bahngesellschaften, der Orleansbahn, einen vorläufigen Vertrag ab, 
der dem Budget für 1883 zu Grunde gelegt werden soll, um ein 
Defigit zu vermeiden. 
2. März. Kammer: Der Finanzminister L. Say legt ihr das 
Budget für 1883, nachdem er das vom Kabinet Gambetta ausge- 
arbeitete und vorgelegte zurückgezogen, vor. Dasselbe weist 3030 
Mill. Einnahmen und 3027 Mill. Ausgaben auf. Das Unterrichts- 
budget, das unter dem Kaiserreich noch bloß 24 ½ Mill. betrug, ist 
darin auf 117 Mill. angesetzt. Es ist das erste Mal, daß die dritte 
Milliarde überschritten wird. 
Das Hauptgewicht des Interesses jällt auf die darin ausgedrückte 
Vereinbarung mit den 6 großen Bahngesellschaften, dem Hause 
Nothschild und der hannte linance. Nach dem Budgetentwurf verzichtet der Staat 
auf den Rücklauf der Bahnen nicht nur während der nächsten 15 Jahre, 
sondern während weiterer 15 Jahre, wenn er nicht 6 Monate vor dem Er- 
löschen des ersten Termins das Gegenteil nolifiziert hat. Nicht nur erteilt 
der Staat den großen Vahngesellschaften die Konzessionen der neuen, an ihr 
bezügliches Neßz anstoßenden Linien, nicht nur beansprucht er ihre Industrie 
und ihren Kredit für diese öffentlichen, von ihnen zu unternehmenden 
Banten, sondern er verpachtet ihnen auch den Betrieb des größten Teils des 
schon bestehenden Netzes von Staatsbahnen. Die Gesellschaften verpflichten 
sich, innerhalb 5 Jahren die fast 700 Mill. Fr. empfangener Staatssubventionen 
samt Zinsen zurückzuzahlen. Die Rückzahlung wird für heuer und das 
nächste Jahr bei der Orleaus-Bahn allein 200 Millionen betragen. In 
dem Maße als die Regierung alle Konzessions= und Vertragsrechte der 
Bahnen respektiert, zeigen dieselben sich geneigter, keine halbwegs mögliche 
Tarif-Reform zu verweigern. Sie nehmen für die Laslzüge (kleine Geschwin- 
digkeit) die Tarif-Herabsetzungen an, welche bereits vor einem Jahre von 
der Regierung beantragt, aber von den Bahnen zurückgewiesen worden sind. 
Die Personentarife werden sofort um 5—10 Prozent herabgesetzt. Der 
Staat bestenert die Personenzüge und die Schnellzüge von Gütern mit 23 
Prozent des Tarifs. Die Regierung beabsichtigt die allmähliche Herabmin- 
derung und schließliche Abschaffung dieser Taxe. In demselben Maße werden 
die Gesellschaften die Tarife herabsehgen, welche also einer 46prozentigen Ver- 
minderung entgegengehen. Dagegen verzichtet Frankreich auf das Staats- 
bahnsystem und unterwirft sich den Bahn-Potentaten, wenn die Kammer die 
betreffeuden Budgetpositionen annimmt. Um die Abgeordneten dafür zu ge- 
winnen, übersenden ihnen die großen Eisenbahngesellschaften fast unentgeld- 
liche Abonnementskarten für alle Linien und für das gange Jahr — eine 
wahre Bestechung neuer Erfindung, die aber nicht auf unfruchtbaren Boden 
gefallen sein dürste. Die Abgeordneten haben auch bereits den Plan gefaßt 
und dafür ein Komité niedergesetzt, sich eine Gehaltserhöhung von 9,000 
auf 120000 Fr. zu vergönnen und natürlich im Budget sich felbst zu de- 
relieren.
	        
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