Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 18—19.) 17 
Arbeiter- Petitionen nichts geholfen; erst seitdem Bismarck sich der sozialen 
Frage zuwende, reißen sich Konservative und Liberale um den armen Mann. 
Windthorst (ultram.) will auf die Details des Entwurfs nicht eingehen, 
da das Zentrum bereits wiederholt seinen Standpunkt in der Arbeiterfrage 
dargelegt. 
Der Gesetzentwurf war am 19. Dezember 1881 von den Delegierten 
der drei liberalen Fraktionen Dr. Hirsch, Lasker, Öchelhauser, Dr. Gut- 
fleisch, Löwe, Dr. Buhl, Petersen, Eberty, Eyfoldt, Hänel, Klotz, Rickert 
und Schrader) vereinbart und festgestellt und seither von den drei Fraktionen 
selbst im Ganzen, doch ohne sich dadurch für alles Detail zu verpilichten, 
gebilligt und angenommen worden. Der Entwurf ist sehr umfangreich; 
die wichtigsten Bestimmungen sind folgende: § 1. Wenn durch Unfall bei 
dem Betrieb einer der im folgenden Paragraphen genannten Unternehmungen 
ein darin beschäftigter Arbeiter oder Beamter getötet oder körperlich ver- 
letzt wird, so hat hiefür der Unternehmer Entschädigung nach Maßgabe dieses 
Gesetzes zu gewähren. Für die sich hieraus ergebende Verpflichtung hat der 
Unternehmer Sicherheit zu bestellen. Die Sicherheitsbestellung erfolgt, vor- 
behaltlich der im dritten Abschnitt enthaltenen Bestimmungen, durch die von 
dem Unternehmer zu bewirkende Gesamtversicherung aller in seinem Unter- 
nehmen beschäftigten Arbeiter und Beamten. § 5. Die Entschädigung soll 
im Falle der Verletzung bestehen:, 1) in den Kosten des Heilverfahrens; 
2) in einer dem Verletzten jür die Dauer der Erwerbsunfähigkeit zu ge- 
währenden Rente. Dieselbe ist nach Maßgabe desjenigen Arbeits- verdienstes 
zu bemessen, welchen Arbeiter derselben Art in demselben Betrieb oder in 
gleichartigen Betrieben nach den örtlichen Verhältnissen regelmäßig beziehen. 
Übersteigt dieser Arbeitsverdienst 2.000 Mark jährlich, so bleibt der Mehr- 
betrag außer Berechnung. Personen, welche wegen noch nicht beendeter 
Ausbildung keinen oder einen niedrigeren Arbeitsverdienst beziehen, sind 
dabei mit dem niedrigsten Betrage des Arbeitsverdienstes vollgelohnter Ar- 
beiter derjenigen Beschäftigung, für welche die Ausbildung erfolgt, jedoch 
böchstens mit einem Jahrarbeits- verdienst von 600 Mark in Ansatz zu bringen. 
Die Rente beträgt: a) im Falle völliger Erwerbsunfähigkeit und für die 
Dauer derselben 66 2/3 Prozent des Arbeitsverdienstes; b) im Falle der teil- 
weisen Erwerbsunfähigkeit und für die Dauer derselben einen Bruchteil der 
Rente unter a, welcher nach dem Maße der verbliebenen Erwerbsfähigkeit 
zu bemessen. ist. § 6. Die Entschädigung soll für den Fall der Tötung be- 
stehen; 1) im Ersatz der ortsüblichen Beerdigungskosten; 2) im Ersatz der 
auf das Heilverfahren aufgewendeten Kosten und in einer für die Zeit der 
Krankheit u gewährenden, nach den Vorschriften des § 5 zu berechnenden 
Rente; 3) in einer den Hinterbliebenen des Getöteten vom Todestag an zu 
gewährende Rente. Dieselbe beträgt: a) für die Wittwe bis zu deren Tod 
oder Wiederverheiratung 20 Proz., für jedes hinterbliebene vaterlose Kind 
bis zu dessen zurückgelegtem 15. Lebensjahre 10 Proz. des Arbeitsverdienstes, 
wenn das Kind auch mutterlos ist oder wird, 15 Proz. des Arbeitsverdienstes. 
Die Renten der Wittwe und der Kinder dürfen zusammen 50 Proz. 
Arbeitsverdienstes nicht übersteigen; ergiebt sich ein höherer Betrag. so wer- 
den die einzelnen Raten in gleichen Verhältnissen gekürzt. Der Anspruch 
der Wittwe ist ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach dem Unfall geschlossen 
worden ist; b) für Aszendenten des Verstorbenen, wenn dieser ihr einziger 
Ernährer war, für die Zeit bis zu ihrem Tod oder bis zum Wegfall der 
Bedürftigkeit zusammen 20 Proz. des Arbeitsverdienstes. § 7. Dem Ver- 
letzten und seinen Hinterbliebenen steht ein Anspruch in Gemäßheit dieses 
Gesetzes nicht zu, wenn der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. 
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XXIII. Bd. 2
	        
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