Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

508 Übersicht der polilischen Entwichlung des Jahtts 1882. 
und förderlichsten Elemente der gesamten europäischen Kulturent- 
wickelung geblieben und Deutschland ist wahrlich die letzte Nation, 
dieß nicht anzuerkennen oder irgend einem seiner berechtigten An- 
sprüche entgegenzutreten. Allein Frankreich ist damit nicht zufrieden. 
Es glaubt, an der Spitze der gesamten europäischen Kulturent- 
wickelung zu marschieren und verlangt, darauf gestützt, nicht Gleich- 
berechtigung mit allen andern großen Nationen und Staaten Europas, 
sondern eine Art Vorrecht, eine gewisse Suprematie über dieselben 
und diese hat es allerdings verloren und zwar wie die Deutschen 
meinen, endgültig. Und das ist es, was die Frangofen leidenschaft- 
schaftlich bestreiten, was ihnen ganz und gar unerträglich erscheint 
und sie seit zehn Jahren veranlaßt, den durch die gewaltigsten Er- 
eignisse gegründeten neuen Zustand der Dinge, den sie mit Gewalt 
wieder umguwerfen doch nicht stark geung sind, wenigstens fort und 
sort in Frage zu stellen, mit allen Kräften zu unterwühlen und in 
fieberhafler Ungeduld sich abzumühen, ihre Ansprüche und ihre 
Macht irgend wie und nach irgend welcher Seite hin zur Bethätig- 
ung und zur Anerkennung zu bringen. Und was hatten sie dadurch 
erreicht? Nichts anderes, als daß Deutschland sich gezwungen sah, 
bis an die Zähne gewaffnet zu bleiben, um das, was es mit dem 
Schwert errungen hat, jeden Augenblick auch wieder mit dem 
Schwerte behaupten zu können, daß es sich aber gleichzeitig zum 
Hort des Friedeus und zum Mittelpunkt all der mächtigen In- 
teressen machte, die in ganz Europa mit der Aufrechthaltung des 
Friedens unauflöslich verknüpft sind und daß es ihm, was ohne die 
aggressiven Gelüste Frankreichs kaum so leicht möglich gewesen wäre, 
gelang, ein Vollwerk nach dem andern gegen jeden Versuch einer 
Störung des Friedens aufzurichten, wodurch es nur immer mächtiger, 
Frankreich aber in Europa mehr und mehr vereinsamt und von 
einer abenteuerlichen Unternehmung zu einer noch abenteuerlichern 
gedrängt wird und über diesen auswärtigen Unternehmungen eine 
zielbewußte Festigung seiner nichts weniger als befriedigenden 
inneren Zustände mehr oder weniger vernachlässigt. 
Zwei bedeutsame Thatsachen liegen diesen Dingen ganz wesent- 
lich zu grunde. Die eine ist, daß die Reorganisation der französi- 
schen Armee noch immer eine unfertige, lückenhafte, unsichere ist, so 
daß in Frankreich selbst die Überzeugung fest steht, daß dieselbe 
trotz der Hunderte von Millionen, welche die Kammern mit immer 
bereitwilliger Hand dafür votiert haben, zur Zeit noch nicht im
	        
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