Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

übtrsichl der polifischen Entwickelung des Zahrts 1882. 511 
bald beiseite gesetzt; die Franjosen entlleideten den Vey seiner wesent- 
lichsten Hoheitsrechte und nehmen seither ausdrücklich ein Protektorat 
in Anspruch, das sich von förmlicher Annerion kaum mehr durch den 
Namen unterscheidet. Der französische Volksgeist fühlte sich inzwischen 
befriedigt, wenn auch die Franzosen sich sagen mußten, daß sie den 
Erwerb elwas tener erkauft hätten, vielleicht zu teuer durch die 
Desorganisation ihrer kaum reorganisierten Armce, durch die Nol- 
wendigkeit, einen nicht unerheblichen Teil derselben auf unbestimmle 
Zeit in der Regentschaft belassen zu müssen, durch die tiese und 
dauernde Entfremdung Italiens, das seine Augen gleichfalls auf Tu- 
nis geworfen hatte und das sie ihrerfeits rücksichtslos beiseite geschoben 
hatten, und durch das wachgerufene Mißtrauen Englands, das die 
westmächtliche Allianz, auf die sie sich so viel zu gute thalen, in 
ihren Fundamenten erschüllerte. Indes all dies wurde von der 
Befriedigung überwogen, daß Frankreich doch wieder einmal Ge- 
legenheit gehabt habe, seine Wassenmacht zu bewähren und einen 
Erwerb zu machen, der es wenigstens einigermaßen für das ver- 
lorene Elsaß-Lothringen entschädigen mochte. Es blieb aber dabei 
nicht stehen. Die Erwerbung von Tunis gab den Franzosen und 
ihren Bestrebungen alsbald eine gang neue Richtung. Schon gegen 
Ende des J. 1881 tauchle die Idce auf und setzte sich jest, für Frank- 
reich als Ersatz für das verlorene Erlaß-Lothringen ein großes nord- 
afrikanisches Reich, das sich vom Nil bis an die Meerenge von Gi- 
braltar erstrecken und das Mittelmeer in Wahrheit zu einem fran- 
zösischen See machen würde, zu gründen. Daß England damit nichts 
weniger als einverstanden sein würde, lag freilich auf der Hand. 
Aber alles schien doch von einer geschickten Politik abzuhängen und 
dazu der Augenblick günstig zu sein. In Agypten waren in dem- 
selben Jahre 1881 innere Unruhen und Wirren ausgebrochen, die 
eine Einmischung Frankreichs nicht nur ermöglichten, sondern ge- 
radezu herausforderten und in Frankreich selbst hatte Gambetta zu 
derselben Zeit endlich das Steuerruder ergriffen, das heißt derjenige 
französische Staatsmann, dessen ganzes Dichten und Trachten dahin 
ging, Frankreich in dieser oder jener Weise seine alte Stellung in 
Europa wieder zu verschaffen und der auch, was in Frankreich gangz 
unerläßlich ist, die Kühnheit besaß, dafür erforderlichenfalls die 
ganze Kraft seines Landes einzusetzen und die Verantwortlichkeit für 
den Erfolg auf seine Schultern zu nehmen. Das war die Lage der 
Dinge zu Ende des Jahres 1881.
	        
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