Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

übersichl der politischen Eulwichelung des Jahrts 1882. 531 
wurde jetzt mit 287 gegen 66 Stimmen auf unbestimmte Zeit ver- 
schoben, vom Listenskrutinium war keine Nede mehr, an eine Stär- 
lung der Regierungsgewalt konnie Freycinet auch nicht denken und 
die hohe Finanz konnte ganz beruhigt sein, da sie in dem neuen 
Finanzminister einen gewandten Vertreter im Kabinet selbst hatte. 
Dafür fehlte es Freycinet an dem, was Gambetta im übermaß be- 
sessen hatte, an schöpferischer oder doch anregender Initiative. Sein 
Kabinet begnügle sich mit kleineren, populären Maßregeln, wie z. B. 
der übertragung der Wahl der Maires auch in den größeren Städten, 
wo sie bisher von der Regierung ernannt wurden, auf die Gemeinde- 
räte, immerhin mit Ausnahme von Paris, und der Durchsetzung des 
neuen Schulgesetzes auch im Senat, was nach den Erneuerungs- 
wahlen leine besonderen Schwierigkeiten mehr machte, ferner mit der 
Erledigung der neuen Handelsverträge auf Grund des im vorher- 
gehenden Jahre verstärkten Schutzzollsystems, was allseitig gelang, 
außer mit England, mit dem die Unterhandlungen definitiv schei- 
terten, so daß man sich gegenseitig mit einer Meistbegünstigungs- 
übereinkunft begnügen mußte, womit sich England zunächst zufrieden 
gab. In anderen schwebenden Fragen, wie der Vervollständigung 
der Armeeresorm, dem Verhältnis zu Rom u. dgl. legte die Kam- 
mer eine bedenkliche Neigung an den Tag, sie der Initiative und 
Leitung der Regierung zu entziehen und vielmehr großen Kommis- 
sionen aus ihrer Mitte zu übergeben. Das Budget für 1883, wel- 
ches das Ministerinm Gambetta vorgelegt hatte, wurde von Say 
zurückgezogen und wesentlich umgearbeitet. Von einem Rückkauf 
der Bahnen durch den Staat und von jeder weiteren Ausgabe drei- 
prozentiger Schuldtitres seitens des Staates sollte keine Rede mehr 
sein: das Defizit, das bei dem bisherigen Gebahren nicht geleugnet 
werden konnte, sollte im Gegenleil dadurch vermieden werden, daß 
man den großen Bahngefellschaften ihr Monopol auf weitere 15 
oder 30 Jahre garantierte und ihnen zudem auch noch die schon 
gebauten und noch zu bauenden Staatsbahnen überließ, ein Plan, 
der mehr und mehr entschiedenen Anklang fand, wenn er auch hie 
und da noch auf einigen Widerwillen stieß, sich völlig unter die 
hohe Finanz zu ducken. Kammer und Ministerium vertrugen sich 
ganz gut; denn weder die eine noch das andere legten in irgend 
einer Frage einen energischen Willen an den Tag oder steckten sich 
irgend hohe Ziele; beide begnügten sich, die Geschäfte abzuwickeln 
und die Fragen zu lösen, wie sie sich gerade darboten. Vom Mai 
31°
	        
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