556 Ubersicht der politischen Entwichelung des Zahrts 1882.
ausdrücklich und in einem besondern königlichen Handschreiben seines
unveränderten Verkrauens versichert und dasselbe sogar direkte zu
unentwegtem Festhalten an den von ihm bisher verteidigten und
vom König offenbar gebilligten Grundsätzen aufgefordert hatte. Die
ultramontane Mehrheit hoffte trotzdem auch noch nachher, das
Ministerium zum Rücktritt moralisch zwingen zu können. Im
Reichstag und gegenüber dem deutschen Reichskanzler ist das aller-
dings nicht denkbar; aber doch ertönte bekanntlich auch dort einmal
der Ruf „Fort mit Bismarck“ und wenn man ihn auch nicht mo-
ralisch zum Rücktritt veranlassen kann, so wird doch hie und da
versucht, ihm das Leben möglichst sauer zu machen; und was ihm
gegenüber unwirksam ist, das könnte vielleicht früher oder später
gegenüber einem anderen Reichskanzler oder Minister, der weniger
verdient wäre und weniger fest stände, mit größerem Erfolg ver-
sucht werden. Dieser Möglichkeit vorzubauen, ergreift der Reichs-
kanzler jede gute Gelegenheit, dem Parlament nachdrücklich zu Ge-
müte zu führen, daß in Deutschland das parlamentarische System
keinerlei Geltung habe, daß die Krone hierin noch ihre volle Selb-
ständigkeit bewahrt habe, daß der König hier noch herrsche und re-
giere, daß das Parlament seinerseils seine in der Verfassung fest
Wmschriebenen und durch sie verbürgten Rechte habe, die er anerkenne,
daß es sich aber hüten möge, darüber thatsächlich auch nur im min-
desten hinausgehen und in der Regierung die monarchische Gewalt
selbst in ihren Nechten beeinträchtigen zu wollen. Und der Reichs-
kanzler ist in dieser Beziehung sehr empfindlich, vielleicht nur zu
empfindlich. Dazu kommt aber noch ein anderes Moment. Wer
die politischen Strömungen in Europa aufmerksam verfolgt, wird
kaum verkennen, daß vielfach mehr als früher das Bedürfnis einer
festen monarchischen Gewalt und das Bedürfnis nach einer starken
Regierung zu Tage tritt und daß die Zeiten entschieden hinter uns
sind, wo es als das Resultat der höchsten politischen Weisheit galt,
wenn der Herrscher nur noch den Punkt auf dem J darstelle, dessen
Dasein zwar notwendig oder doch im höchsten Grad zweckmäßig sei,
daß aber die Entscheidung am besten möglichst durchweg in der
Hand des Parlaments liege und die Regierung lediglich der Ausdruck
und das Produkt der jeweiligen Majorität des Parlaments sei.
Das Ideal der Zeit war demgemäß unzweifelhaft eine Art Repu-
blik mit monarchischer Spitze. Das hat sich jetzt wesentlich geändert,
diese Anschauung ist stark zurückgetreten und ist vielfach nicht mehr