Full text: Europäischer Geschichtskalender. Dreiundzwanzigster Jahrgang. 1882. (23)

überlicht der polilischen Eulwickelung des Jahrts 1882. 561 
ein allerdings energischer Versuch des katholischen Klerus, die Zügel 
des Staats abzuwerfen und neuerdings eine gewisse Herrschaft über 
diesen anzustreben. Zu diesem Ende hin sollte das Ministerium Lutz 
um jeden Preis gestürzt und dadurch einem sog. katholischen Ministe- 
rium wenigstens die Vahn gebrochen werden. Der Versuch scheiterte 
indeß trotz aller wiederholten Anstürme gänzlich, das Ministerinm 
blieb fest und die ultramontane Parlei mußte sich mit einigen sehr 
geringfügigen Errungenschaften von überdieß ziemlich zweifelhaftem 
Werte begnügen. Sehr bezeichnend aber war es, daß der reaktionäre 
Ansturm zunächst an der I. Kammer und in letzter Linie an dem 
entschiedenen Willen des Königs scheiterte, das heißt also an den 
konservativen Elementen des Landes und an der Monarchie. Da 
alle ultramontanen Anträge und Beschlüsse schon vom Reichsrate 
oder der I. KRammer zurückgewiesen wurden, so hatte der Monarch 
sogar nicht einmal Gelegenheit, direkt einzugreifen; es genügte 
schon seine bloße Eristenz und das sichere Vewußlfein, daß der König 
den Stand der Cntwickelung, den Vayern feit hundert Jahren mit 
Anstrengung aller Kräfte errungen hat, wieder preiszugeben nicht 
gewillt, vielmehr entschlossen sei, die Rechte des Staats als solchen 
und des ganzen Staats gegen die Wünsche eines einzelnen, wenn 
auch noch so bedeutenden Teils energisch zu wahren, worüber er 
allerdings in seinem Handschreiben an den Ministerpräsidenten keinen 
Zweifel ließ. 
Wenn also Deulschland auch noch dieß und jenes und sogar 5 
sehr vieles zu wünschen übrig bleibt, wenn namentlich seine parla- 
mentarischen Zustände entschieden unbefriedigende sind, und die Volks- 
vertretung im Reiche und in Preußen unter der Leitung des Reichs- 
kanzlers nicht diejenige Stellung einnimmt und nicht denjenigen 
Einfluß ausübt, den die Nation zu beanspruchen berechtigt ist, so 
ist dieser Zustand doch nur ein zeitweiliger und vorübergehender, 
so ruht das Reich doch sicher auf einer von keiner Seite in Frage 
gestellten Grundlage und wird es sein Gleichgewicht früher oder 
später zuversichtlich schon wieder finden, während Osterreich seit vier 
Jahren seine frühere Grundlage verlassen hat, sich gegenwärtig auf 
einem schwankenden Boden bewegt und einer ganz unberechenbaren 
Zukunft entgegengeht. Die Slavisierung desselben hat auch im 
Jahre 1882 wieder Fortschritte gemacht unter dem Einfluß der 
herrschenden Majorität des Reichsrats, deren freier Ausdruck das 
Ministerium Taaffe zwar nicht ist, der dieses aber Schritt fur Schritt 
Schulihess, Europ. Geschichtslalender. XNXIII. Vd. 
ster- 
reich.
	        
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